Fußball, Literatur, gemeinsame Bekannte

SOMMERFEST Am Samstagabend fand am Wannsee die traditionelle Sause des LCB statt. Unser Autor hat sich prächtig amüsiert

Melancholie rules, und dass der Sommer sich nun so einfach seinem Ende zuneigt, ist ungut. In der S-Bahn denke ich an vergangene LCB-Sommerfeste. Das erste Mal in den 80ern, als Eckhard Henscheid was mit Busen gelesen hatte und ich noch gar nicht richtig in Berlin war; das letzte Mal, als Klett-Cotta das Fest ausgerichtet hatte und ich mir dauernd Gedanken machte, wie alles nun weitergehen sollte.

Die 80er Jahre sind schwarz-weiß; der 1977 gegründete Verlag Matthes & Seitz dagegen weinrot, wie die dreibändige „Thanatografie“, die Bernd Mattheus über den französischen Überschreitungs- und Verschwendungstheoretiker Georges Bataille dort veröffentlicht hatte. Artaud, de Sade, Michel Leiris, Jean Baudrillards „Der symbolische Tausch und der Tod“. Neben Merve, Rogner & Bernhardt und Suhrkamp war Matthes & Seitz in den 80er Jahren der wichtigste Verlag für Studierende der Philosophie und Sozialwissenschaften.

Im Februar 2004 wurde Matthes &Seitz von Andreas Rötzer und Ursula Haeusgen übernommen und zog von München nach Berlin. Die Werkausgaben von Warlam Schalamow, „dem erschütternden Erzähler des Grauens in den sowjetischen Arbeitslagern“ (Die Zeit) und des französischen Insektenforschers Jean-Henri Fabre sind sehr erfolgreich; in den letzten Jahren wurde der Verlag mehrfach ausgezeichnet. Zur Zeit macht die seit 2013 von Judith Schalansky herausgegebene, superschön gestaltete Reihe „Naturkunden“ Furore. Ungefähr 800 Leute sind auf dem Sommerfest.

Als ich komme, liest gerade der norwegische Schriftsteller Tomas Espedal aus seinem autobiografischen Roman „Wider die Natur“. Besonders schön an den Sommerfesten des LCB ist, dass man am Rande der Lesungen im Gras sitzen, gleichzeitig zuhören und den Kindern und Hunden beim Spielen zuschauen kann.

Die autobiografisch orientierten Norweger sind mir sympathisch. Norwegisch klingt ziemlich gut. Tomas Espedal sagt, dass er zunächst alles mit der Hand aufschreibt, bevor er es in die Computertastatur hämmert. „Trinken, Essen, alle Tage sind Feiertage“ lautet der letzte Satz seiner Lesung. Dann geht man ans Wannseeufer, wo Maruan Paschen liest. Der Autor hat palästinensische Wurzeln, lebt in Leipzig und war auch beim diesjährigen Bachmannpreislesen. Seine Internatsgeschichte „Kai“, ist seine Masterarbeit am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.

In der Geschichte zeigt irgendwann jemand einem anderen einen Vogel; eine Geste, die ich schon recht lange nicht mehr gesehen habe. Dann sprechen Jutta Person, Judith Schalansky, Cord Riechelmann und Rainer Moritz über die schöne Reihe „Naturkunden“; über ambivalente Tiere wie Esel („Eselsohren sind ein Wunder der Natur“) und Krähen.

Der Biologe und Philosoph Cord Riechelmann, der wegen einer Grippe angeschlagen ist, erklärt, dass Krähen in vielen Weltgegenden als „Trickster“ gelten. Dass ich bis gestern nicht wusste, dass es sich bei Krähen und Raben um die gleichen Tiere handelt, erzähl ich lieber nicht.

Die französische Autorin Céline Minard liest aus ihrem Western „Mit heiler Haut“, Guillaume Paoli und Peter Trawny, Herausgeber der berüchtigten Schwarzen Hefte von Heidegger, sprechen über „Gefährliche Philosophie“, Esther Kinsky stellt ihren Roman „Am Fluss“ vor, während ich Landschwein mit Apfelmeerrettichsenfbiovollkornfladen esse und mich über das schöne lange Wort freue. Da und dort Unterhaltungen. Fußball, Literatur, gemeinsame Bekannte.

Später Musik und Sekt; der Schriftsteller Bernd Cailloux, der auch gern Fußball spielt, gibt mir Tipps wegen der Achillessehne – es ist ein sehr schönes Sommerfest. DETLEF KUHLBRODT