: Bissiges Karnickel
Viswanathan Anand gewinnt das Schachturnier von Linares. Auf Platz zwei: Magnus Carlsen, ein 16-Jähriger
BADEN-BADEN taz ■ Die Guardia Civil ist ähnlich erfolglos geblieben wie Wesselin Topalow. Die spanische Polizei filzte den 14 Jahre alten VW Polo des entthronten Schach-Weltmeisters. Die Beamten suchten bei einer Kontrolle Drogen und Bomben, wurden aber in dem Kleinwagen des in Spanien lebenden Bulgaren nicht fündig – Topalow durfte seine Fahrt fortsetzen. Sonderlich explosiv wirkte der Weltranglistenerste schließlich nicht einmal am Brett beim Turnier in Linares, das als „Wimbledon des Schachs“ gilt. Mit 6:8 Punkten belegte „La topadora Topalov“ – der Bulldozer, wie ihn die spanische Presse ehrfürchtig nennt – nur den enttäuschenden letzten Platz zusammen mit dem Ungarn Peter Leko.
Damit verliert Topalow nach dem WM-Titel, den der Russe Wladimir Kramnik seit November allein innehat, am 1. April auch die prestigeträchtige Führung in der Weltrangliste. Sein schärfster Rivale, Viswanathan Anand, gewann zum zweiten Mal nach 1998 in Linares. Der Inder verbuchte im mexikanischen Morelia, wo die erste Hälfte des Wettbewerbs ausgetragen wurde, und anschließend in Spanien 8,5:5,5 Punkte. Der „Tiger von Madras“ legt zwar mit diesem Ergebnis nur ein paar Elo-Punkte in der Weltrangliste zu, übernimmt aber wegen Topalows hohen Verlusten erstmals die Spitze. Seit einem Jahrzehnt gehört Anand ununterbrochen zu den ersten drei – zum Platz eins hatte es für den 37-Jährigen aber bisher nie gereicht. Der Exweltmeister, der das königliche Spiel in Indien zum Nationalsport machte, vervollständigt damit endlich seine imposante Titelsammlung.
Im Internet hatten Fans vor dem Wettbewerb Magnus Carlsen als „Häschen“ unter einem Rudel reißender Wölfe verspottet. Der 16-Jährige erwies sich indes als bissiges Karnickel, das nicht nur das unterhaltsamste Schach zeigte. Der Norweger remisierte lediglich 7 der 14 Partien und gewann 4. „Ohne Carlsen wäre das Turnier ziemlich langweilig gewesen“, applaudierte die Internet-Fachzeitschrift „Chess Today“ verbal. Der Jungstar wurde mit 7,5:6,5 Zählern Zweiter vor dem punktgleichen Russen Alexander Morosewitsch. Ohne die Schlussrunden-Niederlage gegen Leko hätte der Weltranglisten-24. sogar mit Anand gleichziehen können. Dennoch sei sein Sohn „sehr glücklich“ mit dem Abschneiden, berichtete Vater Henrik Carlsen auf dem Weblog des 16-Jährigen.
Trainer Peter Heine Nielsen bezeichnete das Resultat als „fantastisch“. Der Däne, der ebenso wie Carlsen und Anand für den OSC Baden-Baden antritt und mit diesem am Wochenende deutscher Pokalsieger wurde, hält seinen Schützling reif für die Top Ten. „Magnus kann mit den Schwächeren der ersten zehn schon mithalten. Er muss nur noch ein paar Kleinigkeiten verbessern, speziell seine Eröffnungen, dann reicht das“, meinte Nielsen. Nachdem Carlsen noch Anfang des Jahres im niederländischen Wijk aan Zee das Tabellenende zierte, sei der junge Wilde „mit realistischeren Zielen in Morelia und Linares ins Turnier“ gegangen. Besonders pikant war der Sieg des Turnierkükens gegen Topalow: Der Bulgare gab in der Vorrunde gegen Carlsen auf – und der verdutzte Norweger zeigte ihm umgehend, wie der Weltranglistenerste ein Remis hätte retten können.
Lediglich im Mittelfeld landeten der ebenfalls beim deutschen Meister Baden-Baden gemeldete Russe Peter Swidler und Vorjahressieger Lewon Aronjan. Der in Berlin lebende Armenier musste sich diesmal mit 7:7 Punkten bescheiden. Wassili Iwantschuk belegte Rang sechs. 6,5:7,5 Zähler sind achtbar, da der Ukrainer erst kurzfristig ins Achterfeld nachgerückt und somit schlecht vorbereitet war. Der Weltranglistenfünfte profitierte von Teimour Radjabows Rückzug. Der Aserbaidschaner hatte in Morelia mit seinem Vater einen Stadtbummel unternommen. Derweil wurde das Hotelzimmer des 19-Jährigen geplündert. Vor allem entwendeten die Gauner dessen Laptop mit allen wichtigen Eröffnungsvarianten. Da weder die Organisatoren den finanziellen Schaden übernehmen wollten noch die mexikanischen Behörden dem Fall energisch genug nachgingen, reiste Radjabow vor dem ersten Zug erbost ab. Das „Wimbledon des Schachs“, es stand in diesem Jahr im Zeichen unglücklicher Polizeieinsätze. HARTMUT METZ