: Liebe Frau Merkel …
Über das Internet beantworten die MitarbeiterInnen der Pressestelle der Kanzlerin Fragen an ihre Chefin
Am 3. September des vergangenen Jahres saß Caveh Zonooz vor seinem Computer und ärgerte sich. Auf seinem Bildschirm verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre wöchentliche Internet-Videobotschaft. Sie erzählte, dass Fax und MP3-Player in Deutschland erfunden wurden, aber in anderen Ländern auf den Markt kamen. Sie wolle nun verhindern, dass Ähnliches noch einmal passiere und versprach großzügige Förderung. „Das kann doch nicht wahr sein“, dachte Zonooz. Monatelang hatten er und seine Mitstreiter vergeblich versucht, Fördergelder für ihr IT-Startup zu bekommen. Und genau das wollte er der Kanzlerin am liebsten persönlich mitteilen.
Also sicherte er sich die Internetadresse www.direktzurkanzlerin.de. Dort kann seit dem 3. Oktober jeder Internetnutzer eine Frage oder ein Anliegen an die Kanzlerin eingeben. Das Interesse der Internetnutzer war von Anfang an groß und kurz darauf sagte die Pressestelle des Bundeskanzleramtes zu, künftig jede Woche die drei Fragen zu beantworten, die von den Nutzern die höchsten Wertungen erhalten. Inzwischen haben mehr als drei Millionen Menschen die Seite besucht. Wegen des Erfolgs waren die Macher von direktzurkanzlerin.de in der vergangenen Woche im Bundeskanzleramt eingeladen. „Damit haben wir überhaupt nicht gerechnet“, sagt Alexander Puschkin, ein Kollege von Zonooz. „Aber es hat sich gezeigt, dass dies ein neuer Kommunikationsweg ist.“
Und dieser Kommunikationsweg funktioniert so: Auf der Internetseite gibt es drei Hauptbereiche. Unter „Mein Anliegen“ kann jeder seine Frage stellen oder sein Problem schildern. Klickt man auf „Beiträge abstimmen“, erscheinen auf dem Schirm die Anliegen der anderen Nutzer, die ein Zufallsgenerator ausgewählt hat. Jeder kann bewertet werden. Die meisten Beiträge beziehen sich auf aktuelle politische Themen, Voraussetzung ist dies aber nicht. Zensiert oder gefiltert wird bei direktzurkanzlerin.de nicht, nur Unsinn herausgestrichen. „Wir hatten bisher aber nur einen Beitrag, der Mist war“, sagt Zonooz.
Unter „Antworten aus dem Kanzleramt“ lassen sich sämtliche beantworteten Beiträge einsehen. „Man merkt, dass da PR-Profis am Werk sind“, sagt Puschkin. Und er schließt nicht aus, dass die Imagestrategen der Kanzlerin versuchen werden, die Seite als Werbeplattform zu nutzen. Aber das liege nicht in der Hand von Zonooz und seinen Kollegen, „wir ermöglichen nur die Kommunikation“, sagt er.
Und das inzwischen in mehreren Ländern. Der Erfolg der deutschen Seite hat dazu geführt, dass es die Seite auch in anderen Ländern gibt. Bald soll in den USA eine Seite online gehen, die japanische Botschaft in Berlin hat Interesse gezeigt. Zonooz klopft auf den Monitor seines Computers. „Schließlich kann ich nur hiermit alle Menschen eines Landes erreichen.“ Zumindest theoretisch.
PATRICK HEMMINDER