: Wolfsburg mal ganz langsam
KUNSTPREIS Die Künstlerin Angela Bulloch hat für die Städtische Galerie eine Zeichenmaschine gebaut, die in der Ausstellung auf die nackten Wände zeichnet. Am Ende wird nichts bleiben als der Prozess
„Wolfsburg: kulturelle Perle Niedersachsens“. So wirbt die VW-Stadt derzeit für sich als Kulturstandort, der „mit Qualität, Exklusivität und Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg in die Zukunft“ unterwegs sei.
Eine Perle in Wolfsburg ist, zweifelsohne, die Städtische Galerie. Aber vor allem deshalb, weil sie wohltuend leise und besonnen eine systematische Sammlungstätigkeit zeitgenössischer Kunst pflegt. Ihre Schätze werden diskret, geradezu familiär, in mehreren verwinkelten Geschossen der ehemaligen Privatgemächer im Wolfsburger Schloss präsentiert, beständig neu arrangiert, ergänzt.
Die Kandidaten für Ausstellungen und Ankäufe werden von einer unabhängigen Jury gesichtet, die einen Kunstpreis vergibt, der seit 1959 verliehen wird. „Junge Stadt sieht Junge Kunst“, so sein Titel, soll KünstlerInnen fördern, die „mit ihrem bisherigen Werk überregionale Aufmerksamkeit erlangt haben“.
Dieses Jahr fiel die Wahl auf Angela Bulloch, 1966 in Kanada geboren, nach dem Studium in London und Lehrtätigkeit in Wien 2008 in Berlin sesshaft geworden. Diese zumindest vorübergehende Ruhe in ihrem Leben, so scheint es, lässt sie auch wieder ganz entspannt an ältere Arbeiten anknüpfen – ohne deren romantische Verklärung, sondern um Prinzipien weiterzuentwickeln.
Für ihre Preisträgerausstellung in Wolfsburg hat Bulloch die frühe Werkgruppe ihrer Zeichenmaschinen um eine neue Variante ergänzt. Diese archaischen Maschinen sehen aus wie überdimensionierte, an die Wand gekippte Stiftplotter, die als erste Generation der CAD-Wiedergabegeräte seit den späten 1980er Jahren in Architektur- und Ingenieurbüros zum Einsatz kamen.
Während die Plotter mitunter grotesk behände mit feinstem Strich über das Papier sausten, operieren Bullochs Maschinen ausnehmend lethargisch und mit dickem Filzer. Dafür ist ihnen eine andere Sensibilität zu eigen, die sich jedoch erst bei näherem Kontakt mit ihnen erschließt: die Aktivitäten des Stiftes werden durch Geräusche, Bewegungsmelder oder eine belastungssensible Bank vor der Zeichenfläche gesteuert.
Setzt man sich also nieder, fährt der Stift etwas schneller und in der Vertikalen, um beim Verlassen der Bank wieder stoisch seine horizontalen Linien zu ziehen. Auf diese Weise kommen im Laufe der Zeit verschiedenartig abgetreppte Linien zustande, ganze Hochhaussilhouetten wie aus New York türmen sich auf. Wenn die Maschine nicht stimuliert wird, überzeichnen waagerechte Parallelen in exakter Folge das bewegte Ereignis. Zur Justierung der Apparate in den Räumen der Städtischen Galerie waren jeweils für einen Tag Papierbögen an die Wand fixiert, die Resultate sind als „one day drawing“ mit ausgestellt.
Ab der Eröffnung am Samstag zeichnen die Maschinen von Angela Bulloch direkt auf die Wände. Bis zum 18. September, so lässt sich hochrechnen, werden mehr oder weniger monochrome Farbbilder entstehen, deren mechanischer Linienaufbau erkennbar bleiben wird. Und diese Bilder werden einer anschließenden Renovierung der Wände zum Opfer fallen.
Was übrig bleibt, ist also nur die (eventuelle) Dokumentation des Prozesses und die schiere Maschine als Potenzial – unbeabsichtigt eine nachgerade weise Gegenposition zum vorlauten Wolfsburger Kulturaktionismus mit seinen Siebenmeilenstiefeln. BETTINA MARIA BROSOWSKY
Angela Bulloch, „Time & Line“: bis 18. September, Städtische Galerie Wolfsburg