Das Dilemma Islamischer Staat

USA/SYRIEN US-Präsident Barack Obama kündigt Überwachungsflüge über Syrien an, lehnt aber jede Zusammenarbeit mit dem Regime Assad gegen die radikalen IS-Islamisten ab

Kann man die IS-Milizen in Syrien bekämpfen, ohne damit dem Regime zu helfen?

BERLIN taz | US-Präsident Barack Obama hat am Wochenende grünes Licht für Überwachungsflüge über Syrien gegeben. Das könnte der erste Schritt zu direkten militärischen Aktionen gegen die Milizen des „Islamischen Staats“ (IS) werden. Im benachbarten Irak haben die USA in letzter Zeit bereits über 100 Lufteinsätze geflogen. Obama ist sehr darauf bedacht, jeden Eindruck zu vermeiden, die USA würden nunmehr im Kampf gegen die IS mit dem Regime von Syriens Präsidenten Baschar al-Assad zusammenarbeiten. Man habe nicht vor, irgendwelche Schritte mit der syrischen Regierung abzusprechen oder sie auch nur darüber zu informieren, hieß es aus Washington. „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ gelte hier nicht, sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Benjamin J. Rhodes in der New York Times. Mit Assad zusammenzuarbeiten würde die sunnitische Bevölkerung in Syrien und Irak endgültig verschrecken – ohne sie sei aber dem Vormarsch von IS nicht beizukommen.

Aus Damaskus verlautete daraufhin, Syrien sei bereit, mit den USA gemeinsam gegen die IS zu kämpfen. Sollten die USA etwaige Militäraktionen auf syrischem Staatsgebiet allerdings nicht mit der Regierung koordinieren, werde das als feindlicher Akt gewertet.

Sowohl in den USA als auch in Europa hat Assads Angebot der Zusammenarbeit gegen IS für rege Debatten gesorgt. Sollte die Regierung Assad plötzlich als im Vergleich zu IS kleineres Übel dastehen? Sowohl aus Washington wie aus Europa ist in den letzten zwei Jahren Assads Abtritt gefordert worden – jede offene Zusammenarbeit wäre eine bedeutende politische Niederlage. Aber die Milizen der IS zu bekämpfen, ohne dass das syrische Regime daraus einen Nutzen zieht, ist schwer möglich. Selbst die Unterstützung und Bewaffnung anderer Rebellenkräfte kann nach hinten losgehen – im Irak besteht ein Gutteil der Ausrüstung der IS-Milizen aus von den USA an die irakische Armee gelieferten Waffen, in Syrien könnte das ähnlich eintreten.

Bislang vertraten die USA die Position, bei der IS handele es sich um ein gefährliches regionales Phänomen, das allerdings keine unmittelbare Bedrohung der USA darstelle.

Dem widersprach Ende vergangener Woche Generalstabschef Martin Dempsey: Die vielen IS-Kämpfer aus Europa und die Gefahr, dass sie unerkannt zurückkehrten, bedeute sehr wohl eine unmittelbare Bedrohung, sagte Dempsey.

Doch selbst wenn die USA sich dazu entschließen, zumindest entlang der kaum noch trennenden Grenze zwischen Irak und Syrien auch auf syrischem Staatsgebiet die IS aus der Luft anzugreifen, muss das nicht automatisch eine militärische Wende mit sich bringen.

Die IS scheint über ausreichend finanziellen Rückhalt und Organisationsgrad zu verfügen, um auch solchen Angriffen zu trotzen – zumal, wenn außer den kurdischen Peschmerga und der vom Westen nicht unterstützten syrischen Armee kein militärisch starker Gegner am Boden vorhanden ist und die USA wie Europa bei der Aussage bleiben, keinesfalls Kampftruppen in das Kriegsgebiet zu entsenden.

In Deutschland forderte CDU-Fraktionschef Volker Kauder jetzt erneut, man müsse die IS auch in Syrien bekämpfen – das sei aber Aufgabe der USA. Waffenlieferungen an die kurdische PKK lehnte Kauder ebenso ab wie vor ihm bereits Kanzlerin Angela Merkel.

Schon fordern einige Meinungsmacher in den USA, Truppen zurück in den Irak und auch nach Syrien zu senden. Andere halten eine Zusammenarbeit mit dem Regime Assad für möglich und – im Sinne des „kleineren Übels“ – auch für notwendig.

BERND PICKERT