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Archiv-Artikel

Al Sharpton: Kein Selbstmitleid im Ghetto

USA Über 6.000 Menschen kommen zur Trauerfeier für den von der Polizei getöteten 18-jährigen Michael Brown, darunter Bürgerrechtler, Abgeordnete, Künstler – und drei Vertreter des Weißen Hauses

VON DOROTHEA HAHN

NEW YORK taz | Zu Füßen des Altars steht ein schwarzer Sarg, in dem die zerschossene Leiche eines 18-jährigen Jungen liegt. Direkt davor, in der ersten Reihe und ein letztes Mal in Reichweite ihres ältesten Sohnes, sitzen die Mutter und der Vater von Michael Brown. Sie trägt ein leuchtend rotes Kleid und wiegt ihren Körper während der zwei Stunden langen Trauerfeier wie in Trance vor und zurück. Über sein Gesicht laufen Tränen.

Abschied von Michael Brown, dem unbewaffneten Teenager, der 16 Tage zuvor von einem Polizisten auf offener Straße in der Vorstadt Ferguson erschossen worden ist. An die 6.000 Menschen sind zu der Friendly Temple Missionary Baptist-Kirche gekommen. Sie füllen den Hauptraum, die beiden „Überlaufräume“ und den Parkplatz vor der großen Kirche in St Louis. Es ist eine afroamerikanische Trauergemeinde, mit einigen wenigen Weißen. Unter den TeilnehmerInnen sind Kongressabgeordnete, Bürgerrechtler, Prediger, mehrere Kinder von Martin Luther King, die Rapper „Diddy“ und „Snoop Lion“, die Präsident Obama aufgefordert haben, nach Ferguson zu kommen, „weil es ernst ist“, der Filmemacher Spike Lee, die Elternpaare von zwei anderen erschossenen Jungen in New York und drei Entsandte des Weißen Hauses. In den Online-Kommentarspalten der lokalen Medien in Missouri schreiben anonyme Autoren: Präsident Obama ehre einen Ladendieb und Gangster. „Wegen der Rasse“, fügt einer der anonymen Schreiber hinzu.

In der Kirche spricht Hauptredner Al Sharpton von einem „Schlüsselmoment“. Vor ihm haben Angehörige und örtliche Geistliche gesprochen. Die Stiefmutter von Michael Brown beschreibt einen Jungen, der Vorahnungen von einem gewaltsamen und blutigen Ereignis gehabt habe. Ein Cousin des Toten fordert die Gemeinde auf, beim nächsten Mal wählen zu gehen.

Michael Brown sen., der Vater, hat öffentlich darum gebeten, dass am Tag der Trauerfeier die Proteste ruhen. In den viereinhalb endlos langen Stunden am 9. August, während derer sein Sohn unbedeckt in der Hochsommerhitze auf dem Asphalt in einer Biegung des Canfield Drive lag und Polizisten mit Hunden die Angehörigen daran hinderten, zu ihm zu gehen, hat der Vater etwas auf ein Stück Karton gekritzelt. „Die Polizei hat soeben meinen unbewaffneten Sohn exekutiert“, schrieb er. Seither trug der Senior T-Shirts, auf denen „Justice“ oder: „Gemeinsam gegen Rassismus“ stand. Aber an diesem Tag will er keine Politik. Lesley Mc Spadden, die Mutter, unterstützt diese Bitte.

In seinem Abschiedsbrief schreibt Michael Brown sen. seinem Sohn: „Es tut soooooo weh, dass ich dich nicht beschützen konnte.“ Die Oma, deren Wohnung nur ein paar Schritte von der Stelle entfernt liegt, wo der Polizist Darren Wilson den Jungen mit sechs Schüssen getötet hat, rief am selben Samstagnachmittag, als ihr Enkel noch auf der Straße in seinem Blut lag und sich ihm niemand nähern durfte, bei Al Sharpton an. „Keine Gemeinschaft in Amerika toleriert, dass ein 18-Jähriger viereinhalb Stunden in der Straße liegt“, sagt der Bürgerrechtler in der Kirche.

Al Sharpton spricht lange und politisch. Geht auf Distanz zu jenen in der afroamerikanischen Gemeinschaft, die „so sehr dem Himmel verpflichtet sind, dass sie die Erde vergessen“. Sagt, dass es keinen Sinn ergibt, „Selbstmitleid im Ghetto“ zu zelebrieren. Und kritisiert jene, die es im Jahr 2014 schick finden, sich selbst als „Nigger“ und ihre Frauen als „Huren“ zu bezeichnen. „Wir müssen eine Bewegung bilden“, sagt Al Sharpton, „wenn wir es nicht selbst tun, wird uns niemand helfen.“ Die Gemeinde antwortet mit „Amen“.

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