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Archiv-Artikel

Ein unendlich reiches Land

VON MIRIAM BUNJES

Es rauscht auf Eckhard Uhlenbergs Hügel, manchmal heulen Motoren auf, auch nachts. „Mein Windrad ist das nicht“, sagt NRWs Umweltminister. „Heute ist es ganz besonders leise.“ Ungefähr 50 Meter über dem CDU-Minister drehen sich die Rotoren, stetig, aber langsam, in seiner Heimatstadt Werl ist es gerade fast windstill. Einen Kilometer hinter dem Rad dröhnt unermüdlich die A 40.

Uhlenbergs Windrad hat seine Nachbarn trotzdem erzürnt. Laut, hässlich, abschreckend: Diese Adjektive hat Uhlenberg vor zehn Jahren oft gehört. „Wer ein Windrad baut, braucht gute Nerven“, sagt der gelernte Landwirt, damals noch Landtagsabgeordneter in der Opposition. Eigentlich wollte er gleich zwei Windräder auf die Hügel seiner Felder stellen. Zwei Räder, die bei entsprechendem Wind bis zu 600 Kilowatt Strom pro Stunde erzeugen können – Strom, dessen Produktion die Umwelt überhaupt nicht belastet. „Ich fand die Technologie von Anfang an überzeugend“, sagt Uhlenberg.

Um sie selbst zu besitzen, musste er sogar vors Gericht ziehen. Und sich am Ende vom zweiten Windrad verabschieden. Jetzt produziert Uhlenberg eine Million Kilowattstunden Strom im Jahr. Jeden Abend kontrolliert er zu Hause am Computer seine Erträge. „Gerade mache ich Minus“, sagt er, während er den kleinen Monitor im Steuerungsraum des Windturms bedient. „Der Wind ist so schwach, dass der Motor mehr Strom verbraucht, als er erzeugt.“ Trotzdem kann er Windräder nur empfehlen.

„Verspargelung der Landschaft“, „versteckte Subventionen“: Uhlenbergs Partei und ihr gelber Koalitionspartner sind keine Freunde der Windkraft. „Kaputtmachen“ wollte sie Bauminister Oliver Wittke (CDU) bei Regierungsantritt. Ministerpräsident Rüttgers warb bundesweit dafür, jegliche Subventionierung zu stoppen, die über das Erneuerbare-Energien-Gesetz hinausgeht. Deshalb müssen Windräder in NRW jetzt 1.500 Meter Abstand zur Wohnbebauung halten. „Finde ich richtig“, sagt der Politiker Uhlenberg knapp. „Das sage ich auch als Privatperson.“

Trotz der harten Worte gegen die Windkraft: Sie ist in NRW der größte Lieferant von ökologisch einwandfreiem Strom. 2.370 Windanlagen stehen im Land. Ihr Beitrag zur NRW-Stromproduktion: verschwindende 1,7 Prozent. Nordrhein-Westfalen ist ein dunkelroter Fleck auf den Karten der Weltraumagentur ESA, der größte in Europa, röter und größer als London und Paris. Rot bedeutet: tonnenweise klimaschädliches Stickstoffoxid. Kein Wunder: 44 Prozent der hier produzierten Energie kommt aus Braunkohlekraftwerken, fast 40 Prozent aus der Steinkohle. Wind, Wasser, Sonne, Bio-, Klär- und Grubengas schaffen im Energieland NRW zusammen auf knappe 2,4 Prozent. „Das liegt aber auch daran, dass NRW ein Drittel seines Stroms für den Rest der Republik produziert“, sagt Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. „Andere Länder haben dadurch viel bessere Bilanzen.“ Bis 2020 soll das anders sein, fordert die EU, 20 Prozent der deutschen Energie sollen in Deutschland regenerativ sein. „NRW kann das als Land für sich nicht so einfach wie andere erreichen“, meint Ramesohl.

Ich bin Teil der Lösung des Energieproblems der Welt“

Ungenutzte Potenziale sehen die Klimaforscher dennoch: Durch die Sanierung alter Gebäude, aber auch bei der Energieerzeugung. Achtmal mehr Strom aus erneuerbaren Energien sind mindestens möglich, hat die Landesregierung mit den Wuppertaler Daten errechnet. Schaffen sollen das vor allem Erdwärme-Anlagen (2005 noch Null Prozent), die Solarenergie mit Photovoltaik und Solarthermie (zur Zeit beim Strom 0,05 Prozent und bei der Wärmebereitsstellung 0,06) und die Biomasse (zur Zeit beim Strom 0,43 Prozent und bei der Wärme 0,34 Prozent).

Cornelius Wessel steigt auf seinen Bagger. Vor ihm liegen 2.000 Tonnen Mais und Dünger. Er versenkt die Schaufel in die bräunlichen Haufen und karrt das Gemisch vorsichtig zu einer Schleuse. Schaufel um Schaufel verschwinden hier jeden Tag 30 Tonnen in großen ufoartigen Silos.

Der Beckumer Landwirt nutzt sein Energiepotenzial. Eigentlich zieht der 44-Jährige Ferkel groß. Weil die 1.500 kleinen Schweine einen 38 Grad warmen Stall brauchen, gab er Tausende Euro für Energie aus. Seit sechs Jahren ist das Geschichte. In seinen grünen Riesensilos gären Mais und Kot. Ihr Gas wandert in vier dröhnende Motoren und wird zu Strom. 500 Kilowatt Strom pro Stunde produziert Wessels, 24 Stunden jeden Tag, 365 Tage im Jahr. Das sind sechs Millionen Kilowattstunden im Jahr, mehr als der Stadtteil Beckum-Vellern verbraucht, wo Wessels wohnt. Er speist sie direkt ins Beckumer Stromnetz ein. 10 Cent kriegt er pro Kilowattstunde, dazu kommen sechs Cent Bonus, weil er nachwachsende Rohstoffe verwendet. Reiner Gewinn ist das nicht, aber „mir bleiben bestimmt 20.000 Euro im Jahr“, sagt Wessel. Mit der Abwärme seiner Gasanlage beheizt er den Schweinestall und sein Wohnhaus, „da spar ich bestimmt nochmal 25.000 Liter Heizöl im Jahr“. Weil immer noch Wärme übrig ist, will er jetzt auch Leitungen zu seinen Nachbarn rüberlegen. Mais baut er selbst an, Gülle liefern Viehbauern aus der Nachbarschaft. Die kriegen im Gegenzug die übrig gebliebenen Feststoffe aus der Biogasanlage, „Superdünger“, sagt Wessels.

Und eine Superenergie-Bilanz: Aus Pflanzen, Gülle und auch aus Holz entsteht Biogas, bei der Verstromung entsteht neben Strom auch viel Wärme – und überhaupt kein CO2. Deutschland könnte mit Biogas unabhängig von sämtlichem russischen Erdgas werden, hat das Leipziger Institut für Energetik und Umwelt im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion errechnet. Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut hält die Studie für übertrieben. „Das ist nur theoretisch möglich, wenn auf allen freien Flächen ausschließlich Energiepflanzen für Biogas angebaut würden“, sagt der Wuppertaler Klimaforscher. „Derartige Annahmen sind schlicht unrealistisch und machen wirtschaftlich keinen Sinn.“ Die Wuppertaler sehen das Biogas bundesweit bei 15 Prozent der Energieversorgung.

Auch die Großen der Strombranche wittern das Geschäft: Eon gründete Anfang des Jahres eine Biogasgesellschaft, RWE baut gerade in Neurath eine Biogasanlage, die 1.600 Haushalte mit Strom versorgen soll. Die Stadtwerke Aachen speisen als bundesweite Pioniere aufbereitetes Biogas ins Erdgasnetz ein. Eine Biogasanlage steht in Straelen bei Venlo, so dass die Energiepflanzenbauer keine langen Wege fahren müssen. Die Blockheizkraftwerke, in denen das Gas verstromt wird, stehen dezentral im Aachener Raum, so dass ihre Abwärme die städtischen Schwimmbäder beheizt. Die Wärme der zweiten Aachener Biogasanlage in Kerpen verpufft zur Zeit noch, weil das Gas vor Ort verstromt wird. Es kann nicht ins Netz eingespeist werden, weil der Gasnetzbetreiber RWE Transportnetz Gas eine andere Gasqualität verlangt. Insgesamt wollen die Aachener bald 5.200 Haushalte mit Biogas versorgen.

„Wer ein Windrad baut, braucht gute Nerven“

Das sind Dimensionen, die Frank Asbeck längst hinter sich gelassen hat. „Ich bin Teil der Lösung des Energieproblems dieser Welt“, sagt der 48-jährige von Bild zum Sonnenkönig gekürte Vorstandsvorsitzende der Solarworld AG. Sein Büro in der ehemaligen saarländischen Landesvertretung in Bonn ist sonnendurchflutet, am altmodischen Reißbrett in der Mitte des hellen Altbaus hängen bunte Zettelchen, auf denen geheimnisvoll „Aldi“ steht und rätselhafte Strichmuster. „Persönliche Gedankenentwicklung“ sei das, sagt der gebürtige Hagener, dabei grinst er übers ganze Gesicht wie ein Schuljunge. Asbeck sitzt tatsächlich auf der Sonne: Es gibt weltweit nur noch ein japanisches Unternehmen, das mehr Geld mit Solarenergie verdient. Allein im letzten Jahr stieg der Umsatz von Solarworld um 45 Prozent auf 515 Millionen Euro. Was 1998 als Ingenieurbüro mit zwölf Mitarbeitern startete, ist heute ein internationaler Konzern mit 1.350 Mitarbeitern in Deutschland, Spanien, Schweden und den USA.

Solarworld entwickelt und baut Solartechnologie vom winzigen Solarwafer aus dem Rohstoff Silizium bis zum Solarstromkraftwerk. Die Technik der Firma findet auf der ganzen Welt reißenden Absatz. „Und das Potenzial ist unendlich“, sagt das Gründungsmitglied der nordrhein-westfälischen Grünen. Die Sonne ist für ihn ein „Perpetuum mobile, dass wir immer effizienter nutzen können“. Auch dafür, dass die armen sonnigen Ländern des Südens einen gerechteren Platz in der Welt finden, sagt der Millionär und Börsenstar, der über sein eigenes Gehalt nicht sprechen will. „Ich bin Deutschlands ärmster Vorstand. Und das Gute ist: Bei jedem Millionengewinn habe ich das Gefühl, der Welt etwas Gutes zu tun.“

Vom weltweiten Technologieboom der erneuerbaren Energien profitiert auch Asbeck Heimatland: 16.500 Menschen arbeiten in NRW in der regenerativen Energiewirtschaft, die Umsätze der rund 3.000 Unternehmen stiegen vom Jahr 2004 auf 2005 bei allen um 20 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro, ermittelte das Münsteraner Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR). 40.000 Jobs sollen es 2020 sein, will das Landeswirtschaftsministerium. „Das politische Klima in NRW wendet sich tatsächlich gerade“, so Klimaforscher Ramesohl. „Schwarz-Gelb packt den Klimaschutz an, vielleicht kommen wir jetzt in NRW wie in Deutschland endlich die notwendigen Schritte voran.“