: Unscharfe Ecken und Kanten
Komponiertes und Improvisiertes, Klangkunst, Avantgarde-DJing und Laptopbasteleien: Das zweite „blurred edges“-Festival präsentiert 12 Tage lang die ganze Spannbreite aktueller Musik in Hamburg
Zum zweiten Mal widmet sich das „blurred edges“-Festival knappe zwei Wochen lang den weit verzweigten und bisweilen abseitigen Pfaden der zeitgenössischen Musik in Hamburg. Ins Leben gerufen wurde das Avantgarde-Großereignis im letzten Jahr vom „Verband für aktuelle Musik in Hamburg“ (VAMH) und verschiedenen Veranstaltern und MusikerInnen. Ziel ist, die verschiedenen Aktivitäten über die Szene hinaus bekannt zu machen und dem Publikum in einem größeren Rahmen anzubieten.
Zunächst jedoch gilt es den Worten der MusikerInnen zu lauschen. Zum Auftakt des Festivals werden am Mittwochabend um 19 Uhr beim fünften Jour Fixe des VAMH im Rahmen des Forums Neue Musik in der Ottenser Christianskirche der österreichische Komponist Peter Ablinger – der sich unter anderem seit den 80ern in seinem Werkkomplex „Weiss/Weisslich“ mit verschiedenen Aspekten des Weißen Rauschens beschäftigt – und Sven-Åko Johansson – stilbildend für die Entwicklung der freien europäischen Improvisationsmusik – über ihre Musik reden. Im Anschluss daran gibt es Stücke der beiden zu hören.
Ebenfalls im Forum Neue Musik gibt es am Freitag ab 20 Uhr den „Nelly Boyd Kreis“ (Foto) zu hören. Das fünfköpfige Komponistenkollektiv realisiert wechselseitig die eigenen Stücke und erforscht zudem gemeinsam die Einflüsse aus europäischer und US-amerikanischer Avantgarde. Interpretiert werden am Freitag etwa Werke von John Cage, Alvin Lucier, Morton Feldman und Karlheinz Stockhausen: Raumbezogene Musik, grafische Notation, Textkompositionen, akustische Experimente und mikrotonale Musik.
In der Blinzelbar in der Großen Bergstraße widmet sich der „h7 – Club“ der improvisierten Musik. Den Auftakt machen am Donnerstagabend um 21 Uhr Klemens Kaatz und Robert Kammer als „Ping Pong“. Das Duo spielt elektronische Improvisationsmusik mit verschiedenen analogen Synthezisern und anderen elektronischen Geräten. Dabei kommen die unterschiedlichen ästhetischen Orientierungen beider zum Tragen: Klammer ist eher vom Jazz geprägt, während Kaatz stärker im Rock verwurzelt ist. Am 30. März gibt es beim „h7-Club“ dann freie Improvisation von John Butcher, Christoph Schiller und dem Trio „Nordklang“ zu hören. Dazu Turntablism-Experimente vom polnischen Underground-DJ Lenar sowie Heiner Metzgers mit Gabeln, Messern, Löffeln und einem Tisch erzeugte „soundtables“.
Für Free-Jazz-FreundInnen ein absolutes Muss ist am 29. März ab 21 Uhr ein Besuch des Jazzclubs im Stellwerk. Dort widmet sich das Sextett „Rocket No. 9“ in einer Hommage dem Mythos Sun Ra.
Ein Höhepunkt des diesjährigen Festivals ist der Auftritt von Gene Coleman am 31. März ab 21 Uhr im Westwerk. Der aus Chicago stammende Komponist, Bassklarinettist und bildende Künstler widmet sich seit 20 Jahren – seit er Anthony Braxton und Mahal Richard Abram getroffen hat – der Neuen Musik in all ihren Facetten. Über 40 Werke für verschiedenste Besetzungen hat Coleman bis heute entwickelt, immer auf der Suche nach einer Synthese von Noise und Musik. Zur Zeit spielt Coleman vor allem mit dem Ensemble „Pos-Neg“ und dem Trio „ARC“. Aber auch in Japan lässt Coleman von sich hören. Zusammengearbeitet hat er in jüngster Zeit etwa mit dem Komponisten, DJ und Gitarristen Otomo Yoshihide und dem Gagaku-Ensemble „Reigakusha“.
Wer es nicht zum Konzert schafft, schaltet übrigens einfach das Radio ein. Das Freie Sender Kombinat (FSK) sendet von 20 bis 24 Uhr live aus dem Westwerk. ROBERT MATTHIES