Die Auferstehung

Mitte der Sechziger Jahre ging in Cuxhaven musikalisch die Post ab. Mit einer Buchveröffentlichung hat ein früherer Bandleader das Beat-Fieber zu neuem Leben erweckt: Am Donnerstag „groovten“ knapp tausend Leute zu den Klängen von damals

AUS CUXHAVEN KAI KOPPE

Ein, zwei Momente gab es, in denen die Spacemen vom großen Durchbruch geträumt haben: Als sie in die Gloria-Lichtspiele gingen, um „A Hard Days Night“ anzugucken, zum Beispiel. Im Kinofoyer waren wohl ein paar Mädels und wollten ein Autogramm von den Nachwuchs-Rockern aus ihrer Nachbarschaft. Da schwebten fünf Milchbärte einen Augenblick lang in höheren Sphären: „So berühmt wie die Beatles, das wäre doch was…“ Cuxhaven stand leider nicht auf der Liste der Liverpooler Talentscouts, also ist Ober-Spaceman Ralf Fröhlich auf dem Teppich geblieben. Tauschte die einst angesagten Absatzstiefeletten irgendwann gegen ganz gewöhnliche Treter und hatte vor, sein Schlagzeug in der Ecke verstauben zu lassen. Doch der Beat holte ihn ein. „Der hat mich noch immer im Griff“, sagt der einstige Bandleader, der sich nun erneut hinter die „Schießbude“ setzt. Die Base-Drum wummert, es scheppern die Snares: 40 Jahre, nachdem die Welle der Gegenkultur den Elbdeich erreichte, stehen die Beat-Astronauten von der Küste wieder vereint auf der Bühne, spielen besser als jemals zuvor. „Time is on my Side“, sang ja schon das Vorbild der Spacemen, der junge Mick Jagger.

„Mensch, das waren Zeiten!“ In der Veranstaltungshalle des Nordseeheilbads dürfen Zeugen der musikalischen Revolution für ein paar Stunden in der Erinnerung schwelgen. Auf Großbildleinwand werden dazu Konzertplakate und die Konterfeis der ehemaligen örtlichen Stars projiziert, zu sehen sind lächelnde Bubengesichter und Schriftzüge wie „Club 99“ oder „Magnet-Bar“. So hießen die beiden wichtigsten Kneipen, in denen Cuxhavener Oberschüler auf dem Höhepunkt der kleinstädtischen Beat-Woge den Sound der Fab Four, der Stones und der Kinks imitierten. Regelmäßig drehte das Ordnungsamt einer tobenden Teenager-Meute den Strom ab – auf diese Idee käme am heutigen Abend kein Mensch: Als auf der Bühne die Instrumente ertönen, wiegen sich inmitten von einigen hundert Ehemaligen auch der SPD-Ortsvereinschef, ein Schulleiter und die Kulturdezernentin im Takt. Dass andere erst nach dem dritten Song auftauen, ist zweifellos eine Frage des Alters. Wo einst die Zentimeter um Zentimeter erkämpfte Pilzfrisur wucherte, beginnt sich bei den meisten das Haupthaar zu lichten.

Vor einem „Meer von wogenden, zu Tränen gerührten grauen Köpfen“ haben sich die Spacemen vor ihrem Comeback an diesem Donnerstag ein wenig gefürchtet. Beim letzten gemeinsamen Auftritt war man schließlich noch Schüler. Nach den Abschlusszeugnissen löste sich die Band kurzerhand auf, die meisten zog es weg aus Cuxhaven. Der Rhythmusgitarrist habilitierte, sein Kollege an der Lead-Klampfe machte Musik zu seinem Beruf. Vermutlich hätten sich die Wege der Beat-Astronauten nie wieder gekreuzt – wenn nicht der Drummer Ralf Fröhlich dieses Buch veröffentlicht hätte. „Get Your Kicks in Cux ‘66“ heißt es. Gemeinsam mit einem Co-Autor beleuchtet Fröhlich darin die Geschichte der örtlichen Beat-Jugend in allen Facetten – und hat im Zuge der Recherchen die Protagonisten der früheren Szene wieder zusammengebracht. Für einen Abend zumindest. „Ich hab denen gesagt, wer das Buch will, muss es sich abholen kommen.“ Am Büchertisch in der Halle wandert das Werk derweil über den Tresen und wird auf Wunsch auch signiert – Autogrammstunde wie damals im Gloria-Kino, nur dass die Spacemen diesmal nicht alleine im Rampenlicht stehen. Die Five Spots aus Bremen und Lee Curtis haben sie anlässlich der Buchpräsentation angeheuert; letzterer eine echte Legende, weil er schon auf denselben Brettern spielte wie John, George und Paul.

Außerdem ist Beat Club-Moderatorin Uschi Nerke zur Cux ‘66-Party nach Cuxhaven gereist, um die Veranstaltung mit einer Portion Beat-Club-Charme zu veredeln. „So schnell wie früher seid ihr ja nicht mehr“, neckt sie die Familienväter an den Gitarren, dann soll das Publikum unten im Saal endlich mal „einen flotten Rock`n Roll auf die Sohle legen“. Hat man sich in den Sechzigern tatsächlich so ausgedrückt? Dass Frau Nerke immer noch so unbekümmert wie eh und je dampfplaudern kann, erweist sich später als Vorteil – und rettet auf diese Weise eine zur Party-Halbzeit anberaumte Podiumsdiskussion. Cuxhavens Vorzeige-Rocker „Kralle“ Krawinkel (“Vampyrs“, „Trio“) verspürt zu diesem Zeitpunkt kaum noch Lust, seinen Altersgenossen das Phänomen Beat zu erklären. Und Nebenmann Ron Sale (einst bei der Londoner High Society) spricht – kann man‘s dem distinguiert aussehenden Herrn denn verdenken? – besser Englisch als Deutsch. Macht nichts. Die Quintessenz von Cux ‘66 gab‘s ja am Anfang des Abends zudem in Songform zu hören: „Dort beim Hafen in den Kneipen jede Nacht / Ging die Post ab mit Beat-Musik handgemacht“, heißt die Refrainzeile einer Spacemen-Hymne aus dem Jahr 2007. Die Gitarren hämmern dazu die Riffs einer uralten Rocknummer, doch der Text wie gesagt ist brandneu. Er erzählt von ein paar wilden Jahren in der norddeutschen Provinz.