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MEIN LEBEN OHNE DAMPFFERNSEHERDie Tücken des Super-TV

VON HANNES KOCH

Zwei Jahre lang leistete ich Widerstand. Der Röhrenfernseher (immerhin Farbe), den ich demnächst im Museum für Technik abgeben will, er funktionierte ja noch. Immer wieder vertröstete ich meinen 14-Jährigen: Geht doch auch so noch …

Dann kam die Fußball-WM. Da war klar: Die Spiele der Weltmeister von 2014 konnte man nicht mit der Technik von 1974 genießen! Wir recherchierten, verglichen Produkttests und fuhren schließlich los, um einen – für meinen Geschmack gigantischen – Flachbildfernseher zu erwerben. Jetzt ist alles super. Manchmal sitzen wir mit unseren schwarzen 3-D-Brillen auf dem Sofa und sehen, wie der „Tagesthemen“-Moderator ganz plastisch hinter seinem Stehpult steht. Und weil wir das neue Gerät an die HiFi-Anlage kabelten, hat jetzt auch der TV-Sound ordentlich Wumms.

Aber der Fortschritt fordert seinen Tribut. Und zwar in Form von Folge-Investitionen. Beispielsweise ließ sich mein Laptop, auf dem wir früher Filme aus der Videothek schauten, nicht an das Super-TV anschließen. Also kauften wir einen DVD-Player. Außerdem fällt nun schmerzlich auf, dass der Programmempfänger eine lahme Ente ist. Angesichts des hochauflösenden Fernsehbilds bemerken wir die fragwürdige Qualität der Übertragung. Al Dschasira und BBC fehlen sowieso. Also: Auch ein neuer Receiver muss her!

So führte eins zum anderen. Nicht nur ein Erwerb zum nächsten Kauf, sondern auch zum nächsten Bedürfnis. Mein Sohn agitiert mich jetzt, dass wir ein Abonnement für einen Filmkanal brauchen, damit er für „Planet der Affen: Revolution“ nicht ins Kino, sondern nur ins Internet muss. Kostet nur 7,38 Euro monatlich, dieses Abo. Als wir mit dem Dampf-TV zufrieden waren, wussten wir gar nicht, was uns so entgeht.

Mit dieser Logik darf ich mich allerdings nächste Woche nicht in Leipzig sehen lassen. Denn vom 2. bis 6. September findet da die „Degrowth-Konferenz“ mit Tausenden Besuchern statt. Es geht um Antiwachstum oder Schrumpfung: alternative Finanzen, andere Lebensmittel, die „Angst vor dem Postwachstum“, um „Anleitung zur Karriereverweigerung“, grundsätzlich um die Frage: Wie viel ist genug? Viele Teilnehmer dieser Konferenz wünschen sich, dass die Wirtschaft nicht wächst, sondern schrumpft. Weil wir ohnehin zu viel haben und der Zwang zu höher, schneller, weiter uns kaputtmacht.

Hieße das in meinem Fall: Schwarzweiß- statt Internet-TV, Zimmerantenne statt Hochleistungsreceiver? Mein Sohn findet solche Ideen absonderlich. Ich nicht komplett. Reiche Gesellschaften, die schon alles haben, müssen und können nicht mehr so schnell wachsen wie China. Aber gar nicht mehr? Wollen wir es nicht immer besser haben? Wenn ich eingequetscht in der 2. Klasse der Bahn sitze, würde ich sehr gern in die Business Class wechseln. Das kostet mehr Geld. Um das zu verdienen, muss ich mehr arbeiten. Und so weiter.

Schließlich fällt den Menschen zu allem etwas noch Schöneres und Angenehmeres ein. Wir hegen den Wunsch nach mehr Lebensqualität, Fortschritt, dem hochauflösenden Fernsehbild. Jetzt ein fieses Argument: Mein superschicker Flachbildschirm verbraucht viel weniger Strom als die alte Röhrenmöhre.

Bei uns steht inzwischen der nächste Sprung nach vorn an, so rein technisch. Für Film-Abo und Runterladen brauchen wir nämlich einen schnelleren Internetzugang. Wie das geht, recherchieren wir gerade. Vermutlich müssen wir ein Glasfaserkabel unter dem Bürgersteig ins Haus legen lassen. Sind etwas teuer, die Bauarbeiten durch die Telekom. Aber mein Sohn hat zum Glück schon angeboten, er könne das mit seinen Kumpeln erledigen.

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