: Absurde 90 Prozent Berlin
FESTIVAL Beim Torstraßenfestival diesen Samstag spielen 37 Bands. Das Line-up verspricht viele Entdeckungen
■ Heute findet zum vierten Mal das Torstraßenfestival in Mitte statt. Zwischen 14 und 22 Uhr gibt es Konzerte an elf Veranstaltungsorten, darunter das Kaffee Burger, der Rote und der Grüne Salon, das Bassy und die Z-Bar.
■ Insgesamt spielen 37 Bands, darunter zum Beispiel der Maskenmann am Piano, Lambert, oder die Trip-Hop-Experimentalistin Perera Elsewhere. Das Tagesticket kostet 15 Euro, erhältlich an den Veranstaltungsorten. Die Aftershow-Party ist ab 22 Uhr im neuen Acud, Veteranenstr. 21. www.torstrassenfestival.de. (jut)
VON JENS UTHOFF
Das vielleicht berlinerischste aller berlinerischen Festivals hat seinen Ursprung im Londoner Stadtteil Camden. Andreas Gebhard, Gründer von Newthinking, eines Berliner Start-ups für digitale Kultur, schlenderte dort vor dreieinhalb Jahren beim „Camden Crawl“, einem Clubfestival, das über wenige Meilen im Stadtteil verstreut ist, durch die Straßen. Er war begeistert. Und er dachte: „So etwas gibt’s in Berlin noch nicht!“
Kaum in Berlin zurück, gründete Gebhard mit den Konzertveranstalterinnen und Kuratorinnen Andrea Goetzke und Melissa Perales ein kleines Festivalteam – das erste Torstraßenfestival ging Anfang September 2011 über die Bühne. „Das war so Andreas-Style“, erzählt Mitveranstalterin Andrea Goetzke nun, in einem Café in der Veteranenstraße sitzend, „nicht warten, gleich machen.“
Gleich gut gestartet
Einfach machen – und es am besten gleich gut machen. Das Torstraßenfestival steht seit seiner Erstauflage für eine sorgfältige Auswahl und für ein Kulturverständnis, das ohne das Diktum des „bigger, brighter, better“ auskommt und klug das Lokale in den Vordergrund stellt. „Wir wollen nicht unbedingt wachsen, von der Machart her sind wir ein D.I.Y.-Festival“, sagt Norman Palm, der sich um das (Web-)Design des Festivals kümmert und neben Andrea Platz genommen hat. Ich treffe die beiden eine gute Woche vor dem Festival, bei dem am heutigen Samstag in elf Klubs rund um die Torstraße verstreut acht Stunden lang Musik gespielt wird.
Das Torstraßenfestival ist kein Festival, auf das man geht, um auf den einen Hit X von der Band Y zu warten, um sich – sobald er gespielt wurde – zufrieden auf den Heimweg zu begeben. Es ist eher eine Meile des Entdeckens für Leute, die sich für die musikalischen Szenen dieser Stadt interessieren.
„Es geht darum, Leute für ganz unterschiedliche Musik zu begeistern, die sie noch nicht kennen“, sagt Andrea, die sonst bei Newthinking und bei der Musikinitiative all2gethernow arbeitet. So wähle man ganz bewusst Bands mit sehr verschiedenen künstlerischen Horizonten aus. Dabei lag aber von Beginn der Schwerpunkt auf dem, was musikalisch an der Spree passiert. In diesem Jahr sind es, so Norman, „absurde neunzig Prozent Berliner Bands“. Neben den hier beheimateten Musikern und Musikerinnen sind damit aber auch Gruppen gemeint, die gerade auf der Durchreise sind. Zum einen wollten Andrea, Norman + Co. ein Festival „vor der eigenen Haustür“ machen – alle Veranstalter wohnen nicht weit von der Torstraße entfernt –, zum anderen wollten sie, das naheliegende Potenzial nutzen.
So graben sie Bands aus, die längst mal in einem größeren Kontext vorgestellt gehörten – in diesem Jahr etwa die deutschsprachigen Noise-Quälgeister von Banque Allemande, die Queer-Slacker von Skiing oder die Black Metaller von Sun Worship. Dazu kommen mit Zugezogen Maskulin, einer sehr berlinerischen Hip-Hop-Combo, mit dem grantelnden Urgestein Chris Imler oder mit Brangelina, die nach 80er-Indie-Sozialisation klingen, Künstler und Künstlerinnen, die die wachsame Observateurin der Berliner Szene vielleicht schon kennt.
Bis heute kommt das Festival ohne Sponsoren aus, was auch daran liegt, dass die Senatsverwaltung für Kultur das Projekt subventioniert. Norman und Andrea sprechen davon, „selbstbestimmt“ bleiben zu wollen in der Gestaltung des Festivals – dies sei ohne Sponsoren einfacher. Insgesamt beträgt das Budget mit 42.800 Euro wohl in etwa so viel, wie andere Festivals allein für eine einzige Band zahlen. „Professionell ja, kommerziell nein“, wie Andrea Goetzke sagt. So kostet das 8-Stunden-Fest nur 15 Euro Eintritt. Seit dem vergangenen Jahr geht die Kalkulation auf: „In den ersten beiden Jahren haben wir draufgezahlt“, sagt Andrea.
Während die großen Festivals in und um Berlin (Greenville, Berlin Festival) aufgrund zu geringer Nachfrage oder wegen fehlender großer Namen abgesagt oder verlegt werden mussten, haben die Torstraßler derlei Probleme nicht. „Das betrifft dann eher diese Riesenfestivals, die so kalkulieren, dass sie ausverkauft sein müssen“, meint Norman Palm, der selbst Musiker und Grafikdesigner ist.
Hier, an der Torstraße, muss man nicht ängstlich auf die Vorverkaufszahlen schielen oder unbedingt den einen großen Headliner verpflichten: „Das Line-up ist der Headliner“, sagt Norman – und erwähnt damit beiläufig, dass eben alle Bands gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Im letzten Jahr kamen 1.500 Besucher, ein paar mehr sollen’s noch werden, aber viel mehr auch nicht, ist sich das Team einig. In diesem Jahr übrigens sollen sich auch die Läden und Anwohner beteiligen – sie wurden aufgefordert, sich einen DJ für einen Tag in den Laden zu holen. Auf dass dann auch wirklich die ganze Torstraße Musik sei.