: Im Aquarium blubbern die Neonsalmler
LEIDEN Simone Lappert erzählt in ihrem Debütroman „Wurfschatten“ von einer neurotischen Mittzwanzigerin. Für deren Nöte findet sie originelle Bilder und witzige Einfälle
Ada hat Angst. Die Angst lässt sie nachts wach liegen, sie schmerzt in ihren Gliedern und „zahnt in den Wänden“ ihrer Wohnung. Ada wird bald sterben, dessen ist sie sich sicher. Sie ist Mitte zwanzig. Sie ist Schauspielerin. Sie ist allein. Holt die Furcht sie panisch ein, ruft sie das Bild ihrer Mutter vor dem inneren Auge wach, doch auch die hinterlässt bei Ada nur das Gefühl der Einsamkeit.
Tiefer ergründet Autorin Simone Lappert die Angstzustände ihrer Protagonistin nicht, denn „Wurfschatten“ ist kein tiefenpsychologisches Porträt. Lapperts Debütroman ist der schriftstellerische Versuch einer jungen Autorin, eine Innenansicht in die Gegenwart einer seelisch leidenden Frau zu geben.
Eindringlich zeichnet Lappert die bleierne Schwere von Adas Alltag auf. Zimmerklinken wollen nicht runtergedrückt werden, Taucherglocken stülpen sich auf ihren Kopf, die Stadt Basel, in der sie lebt, schnürt sich jeden Tag enger um ihre Brust. Ada versteckt sich, hinter einer geselligen Maske, tritt sie nach außen, hinter der Tür ihres Therapiezimmers, bleibt sie drinnen, wo sie sich in ein Angstalphabet von A wie Atemnot bis Z wie Zyste vergräbt.
Doch dabei darf es nicht bleiben. Matuschek, ihr Vermieter, setzt seinen Enkel Juri in Adas Wohnung, nachdem sie einer mehrmaligen Mietforderung nicht nachgekommen war. Juri ist ein netter Mitbewohner. Er übersieht Adas Macken und fiese Tricks – Haare im Abguss, verderbendes Essen in der Küche –, mit denen sie ihn rauszuekeln versucht. Nach einigen Wochen kann sie sich nicht mehr verstecken, weder vor sich noch vor ihm. Sie verliebt sich in Juri, und zaghaft verlässt sie ihr Angstgehäuse.
Die Gedanken kreisen
Dieses langsame Aufbrechen von Adas fragiler Lebenskonstruktion, das Zaudern und innere Kämpfe beschreibt Lappert schön, metaphernreich und zuweilen witzig. Mit originellen Bildern kommentiert die Autorin Adas Gedanken, die sich drehen, mit dem Blubbern der Neonsalmler im Aquarium, ihre Worte, die nicht kommen, mit fallengelassenen Oliven zwischen den Holzdielen und Gespräche, die verstummen, mit aneinanderstoßenden Zahnbürstenköpfen im Zahnputzbecher.
Der Autorin merkt man ihre Ausbildung am Schweizerischen Literaturinstitut an: „Wurfschatten“ ist ein schönes, in Sprache gefasstes Bilderalbum, zusammengestellt aus amüsanten, nahezu niedlichen, szenischen Aufnahmen aus dem stockenden Leben einer jungen Frau. Allerdings verliert sich die Autorin in einer Zeichnung der Oberfläche. Witzig ist Adas Job, eine Nebenrolle als Leiche im Off-Theater, unbeschwert sind ihre Fluchten in nächtliche Taxifahrten, doch letztlich beschreibt Lappert die Ernsthaftigkeit eines seelischen Leidens nicht. Vielmehr entwickelt sich Ada im Laufe des Romans zu einer Figur, wie sie in den sympathischen Filmen des Mumblecore-Kinos auftauchen, zum Prototypen einer Generation von Großstädtern, die sich – gut ausgebildet und nur für sich selbst verantwortlich – noch einen Weg durch ihr teils verpeiltes, teils neurotisches Leben bahnen müssen.
Dennoch soll „Wurfschatten“ ein Leidensroman über das bedrückende Innenleben einer Mittzwanzigerin bleiben. Nur kurz klingt der tragische Tod des Verlobten von Adas bester Freundin Maria an. Auch Juris Vater ist verstorben, in einer Friedhofsszene begegnet sie dem trauernden Jungen am Grab. Nichts aber ist wichtiger als die Wehmut der Ada, der Schmerz der anderen ist Kulisse. Kritisch scheint die Autorin ihrer als egozentrisch gezeichneten Protagonistin nicht gegenüberzustehen, denn alle Figuren bleiben der Ada stets zugewandt. Vor allem Juri, er steht ihr immer bei, bis zum glücklich-unglücklichen Ende der Geschichte.
SOPHIE JUNG
■ Simone Lappert: „Wurfschatten“. Metrolit Verlag, Berlin 2014. 207 Seiten, 20 Euro