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Archiv-Artikel

Von der Ethik der Zivilcourage

Sieben Sätze einer Kuratorin der Panter Stiftung zum 10. Geburtstag des Panter Preises – wie er sein sollte und wie wir sein wollen

1. Die Welt ist schlecht

Sie ist voller Probleme, die wir selbst versursacht haben. Wir protestieren nicht gegen Gott, wenn er die Erde erbeben lässt oder eine Sintflut schickt oder mit einer neuen, tödlichen Krankheit Unschuldige quält. Das war einmal, und das hieß damals Courage.

Heute übernehmen wir die Verantwortung. Da knickt kein Halm, ohne dass wir schuld daran sind.

2. Die Menschen sind träge

Wirklich böse Menschen kennen wir aus dem Fernsehen. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft leben vor allem solche, die nicht schlecht sind, sondern – wie soll man das sagen? Sie gehen zur Arbeit, sie renovieren ihre Wohnung, sie haben mit ihren Schulden und ihrer Steuererklärung, mit ihren kranken Eltern und ihren pubertierenden Kindern zu tun; sie wollen auch Urlaub machen. Sie tun, was sie können, und wenn Not am Mann ist, helfen sie auch. Aber sie haben auch wahnsinnig viel zu tun.

Einen solchen Menschen kennen wir besonders gut. Wir nennen ihn Ich.

3. Es gibt Strukturen

Die sind quasi dauernd verkrustet. Ein unerträgliches Ärgernis. Woher sie kommen und wie sie sich entwickelt haben, ist nicht leicht zu verstehen und erfordert viel Konzentration, Lektüre und Redezeit.

Die geht natürlich auch noch vom Leben ab.

4. Es gibt Motive

Die sind besonders schwer zu verstehen. In der Ethik gibt es zwei grundsätzliche Positionen: Bei der einen kommt es darauf an, wie wir sind. Was wir aus guten Grundsätzen heraus tun, das kann nicht falsch sein, und wo es nicht zum Erfolg führt, ist zumindest das Seelenheil gerettet – und vielleicht ein Vorbild für andere entstanden. Bei der anderen kommt es nur darauf an, was am Ende dabei herauskommt.

Die politische Linke neigt eher der zweiten Haltung zu. Der Einzelne hat es lieber, wenn er diejenige, die Verbesserungen schafft, Elend lindert oder Ungerechtigkeit verhindert, auch moralisch gutheißen kann.

Am schönsten ist es natürlich, wenn beides zusammenkommt.

5. Es gibt Verwirrung

Vieles von dem, was wir mit besten Motiven unternommen haben, hat sich nicht unbedingt bewährt. Manches ist ins Gegenteil umgeschlagen.

Eine Art, sich nicht die Hände schmutzig zu machen, heißt: nicht für andere denken. Wenn die Unterdrückten Waffen brauchen, sollen wir dann Decken schicken?

Eine andere Art, sich nicht die Hände schmutzig zu machen, heißt: Wir folgen guten Grundsätzen. Decken sind jedenfalls nicht falsch.

Es sei denn, sie wärmen die Falschen.

6. Es gibt Organisationen

Die nehmen uns etwas von der Verwirrung ab.

Sie unterstützen JournalistInnen in Krisengebieten, die bedroht und gefoltert werden. Sie setzen sich gegen Kinderarbeit und für politische Gefangene ein.

Sie bauen Brunnen und Schulen, sie leisten medizinische Hilfe, sie retten ganze Tierarten.

Sie scheinen umso wichtiger und umso mehr auf der eindeutig richtigen Seite, je weiter von uns entfernt sie operieren.

7. Es gibt den Panter Preis

Er ist eine Antwort auf manche Fragen und manche Verwirrung.

Gleichzeitig hält er sie wach – da, wo er gelingt, und da, wo er ganz unvollkommen ist.

Das finden wir richtig.

Elke Schmitter, Schriftstellerin und seit 2001 Journalistin beim Spiegel, hatte in ihrer Zeit bei der taz von 1989 bis 1995 diverse Rollen inne – als Kulturredakteurin, als Mitglied des Vorstands der taz Genossenschaft und, mit Michael Sontheimer und Jürgen Gottschlich, als Mitglied der Chefredaktion. Nach ihrem Weggang diente sie dem Kollektiv als Aufsichtsrätin; seit Gründung der Panter Stiftung 2008 ist sie Mitglied des Kuratoriums.