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Archiv-Artikel

Tierhörner und Ventilklappen

FESTIVAL Das heute beginnende Musikfest Berlin steht dieses Jahr im Zeichen des Horns, eines von Musikern wie Publikum gefürchteten Orchesterinstruments. Kaum ein Blasinstrument ist so schwierig zu beherrschen

Bis ins 19. Jahrhundert kam erschwerend hinzu, dass Hörner keine Ventile hatten

VON TIM CASPAR BOEHME

„Als ich ein kleiner Bub noch war, wie gern denk ich zurück / da war des Vaters Alpenhorn mein ganzes Kinderglück / Ich lauschte seinem Klange, vom Himmel schien’n die Stern / oh Alphorn, oh Alphorn, wie hört ich dich so gern.“ Hymnen auf das Alphorn dürften in diesen Breitengraden ziemlich selten sein. Und selbst die Zeilen aus dem „Alphorn-Lied“ des Komikerquartetts Insterburg & Co. wurden wohl eher in ironischer Absicht verfasst.

Mit vollem Ernst hingegen hat der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas sein im März uraufgeführtes „concerto grosso Nr. 1“ für vier Alphörner und großes Orchester geschrieben. Dass es jetzt beim Musikfest Berlin zu hören sein wird, ist dem Thema dieser Ausgabe zu verdanken, denn dieses Jahr steht das Horn im Mittelpunkt des Orchesterfestivals. In der Mehrheit wird allerdings das heute gebräuchliche Ventilhorn verwendet.

Das Horn ist ein merkwürdig ambivalentes Instrument. Einerseits gehört es eindeutig zu den klassischen Orchesterinstrumenten – im Jazz ist es ein echter Exot –, andererseits assoziiert man mit dem Horn oft außermusikalische Verwendungsmöglichkeiten als Signalinstrument vom Jagdhorn bis zum Posthorn. Stefan Dohr, Solohornist der Berliner Philharmoniker, sieht die Signalfunktion sogar am Anfang der Geschichte des Instruments: „Ich glaube, das hat sich aus den Stierhörnern entwickelt. Das Horn war damals als Signal am lautesten.“ Zudem konnte man bei großen Tierhörnern die Tonhöhe variieren.

Ziege, Stier und Nashorn

Tatsächlich ist der Ursprung des Horns bei den Auswüchsen am Kopf bestimmter Tiere zu sehen. Nashornhörner, Stierhörner oder Ziegenhörner wurden in prähistorischer Zeit als Klangquelle entdeckt. Man brauchte bloß an der richtigen Stelle ein Loch hineinzuschlagen und die Lippen zu spitzen. Muscheln und Schneckenhäuser wurden ebenfalls früh als Blasinstrumente genutzt. Auf der Themenführung „Horn“ im Zoo kann man mehr zum Verhältnis von Tier und Horn erfahren, unter anderem referiert dort Stefan Dohr, der neben seinem Berufsinstrument auch Schneckenhörner besitzt: „Im polynesischen Raum gibt es große Meeresschnecken, davon habe ich zwei zu Hause, die klingen ganz toll, weil sie konisch aufgebaut sind, dadurch, dass sie sich nach unten immer mehr öffnen und erweitern.“

Das Horn gilt als eines der schwierigsten Blasinstrumente und ist daher bei Publikum und Musikern gleichermaßen gefürchtet. Dohr beschreibt die Tücken seines Instruments: „Die größte Schwierigkeit ist der sogenannte Kiekser: Wenn der Ton nicht zentral getroffen, sondern von oben oder unten angekiekst wird. Besonders schwierig sind die höheren Töne, weil die Naturtöne so eng beieinanderliegen, dass man mit demselben Griff den Ton darüber oder darunter treffen kann. Das klingt dann nicht besonders schön.“

Bis ins 19. Jahrhundert kam erschwerend hinzu, dass Hörner einfach gewundene konische Röhren waren und keine Ventile hatten, um Töne zu greifen. Man musste die Naturtöne blasen, das heißt, die verschiedenen Obertöne, die über dem Grundton des Instruments liegen. Mittels „Stopftechnik“ ließen sich die Töne etwas besser verändern. Dabei greift man mit der Hand in den Trichter und verschließt die Öffnung mal mehr und mal weniger vollständig.

Als die ersten Ventilhörner aufkamen, wurden sie trotz der großen technischen Erleichterung zum Teil mit Skepsis aufgenommen. Der Komponist Johannes Brahms, dem auch ein Schwerpunkt des Festivals gilt, lehnte sie schlicht als „Blechbratschen“ ab.

Den Naturklang erkunden

Dohr schränkt jedoch ein: „Man kann die Ventilhörner von heute nicht unbedingt mit denen von damals vergleichen. Die Entwicklung ist da sehr weit fortgeschritten. Früher hatten die Instrumente ihren offenen, schönen Klang verloren dadurch, dass Ventile drangebaut wurden.“ Heute sei das anders. „Die Nachteile des Ventilhorns sind längst nicht so drastisch wie vor 150 Jahren.“

Zum Teil verwenden Komponisten immer noch Naturhörner. György Ligeti etwa kombinierte in seinem „Hamburger Konzert“ ein Naturhorn-Quartett und einen Solisten, der zwischen Ventil- und Naturhorn wechselt, um die verschiedenen Klangcharakteristiken bewusst zu nutzen – und die unterschiedlichen, mitunter mikrotonalen Tonkombinationen zu erkunden, die sich aus der Verbindung von Naturtönen und temperierten Tönen ergeben.

Ausschließlich für Ventilhorn verfasste Wolfgang Rihm sein „Konzert für Horn und Orchester“, gewidmet Stefan Dohr, das am 14. September seine deutsche Erstaufführung erleben wird. Dohr hält es für durchaus spielbar, „aber es ist schon sehr, sehr schwer. Es wird, glaube ich, nicht unbedingt jeder Hornist in sein Repertoire aufnehmen.“

■ Musikfest Berlin, 2. bis 22. September, Programm unter www.berlinerfestspiele.de