Das Publikum möchte nicht mitfeiern

THEATER Stefan Pucher versucht in „Mjunik Disco“ an den Münchner Kammerspielen von den Legenden des Nachtlebens zu berichten

Heraus kommt in Puchers Inszenierung ein melancholisches „Ja zur modernen Welt“, das so etwas wie den Grundton von „Mjunik Disco“ bildet – erst wenn der Rausch vorbei ist, kann man von ihm erzählen

VON ELIAS KREUZMAIR

Wie soll man erzählen von der Nacht? Von der Dunkelheit, dem Rausch, den Körpern, der Musik – und dem Kaputten? Brüchig muss sie auf alle Fälle sein, diese Erzählung, mit Lücken. Stefan Pucher, geboren 1965, an den deutschsprachigen Theaterhäusern für Pop und Rave zuständig, lässt seine Schauspieler stottern und stammeln, bis sie immer wieder bei dem einen Wort ankommen, um ihre Nachterlebnisse wiederzugeben: „Geil. Geil. Geil. Geil. Geil.“

Dabei nähert sich Pucher dem Sujet seiner Inszenierung von mehreren Vorbildern aus. Die grundlegende Quelle der Inspiration ist der 2008 erschienene Bildband „Mjunik Disco“, der das Nachtleben der letzten 60 Jahre in München dokumentiert. Puchers Stück selbst basiert dagegen auf Texten von drei Popautoren. So bedient er sich aus Rainald Goetzs „Rave“, dessen getriebener Erzählduktus den Sprechteilen des Stückes den Rhythmus zu geben scheint. Dazu hat Pucher Songs, die Thomas Meinecke für seine Band F.S.K. geschrieben hat, nach Brauchbarem durchforstet und zusätzlich auch noch Andreas Neumeisters „Gut laut, Version 2.0“ nach Geschichten und Situationen aus dem Nachtleben durchstöbert. Die so gewonnenen Texte hat der Theaterregisseur kompiliert und durch acht Songs strukturiert.

Das Leben in der bayerischen Landeshauptstadt München spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. Drei, vier Münchner Clubnamen fallen im Laufe der Inszenierung zwar, die aber auch gut ohne die Verweise auf konkrete Orte ausgekommen wäre. Teile der Songs, die Pucher im Theater vortragen lässt, basieren auf jenen, die in den 70ern in den legendären Musicland Studios von Giorgio Moroder aufgenommen wurden.

Den Auftakt der Inszenierung macht „Strange Music“ der britischen Rockband Electric Light Orchestra, das Pucher und der für die musikalische Leitung des Stücks verantwortliche Christopher Uhe mit F.S.K.s „Moderne Welt“ mischen. Heraus kommt ein melancholisches „Ja zur modernen Welt“, das so etwas wie den Grundton von „Mjunik Disco“ bildet. Erst wenn der Rausch vorbei ist, kann man von ihm erzählen. Das geht, entgegen der Gegenwartsillusion, die Poptexte immer wieder eröffnen, nur nachträglich, mit nostalgischem Blick.

Dafür ist der von Bert Neumann gestaltete Werkraum der Kammerspiele der ideale Ort, er würde jeder Diskothek zur Ehre gereichen. Der Boden ist von einem lilafarbenen Teppich überzogen, die Wänden von silbernen Sternen. Für „Mjunik Disco“ hat Neumann darin eine Art Tanzcafé eingerichtet, in dem die vier Schauspieler nun, wenn sie nicht gerade einen Song spielen, sitzen und über das Nachtleben und seine „kollektiven Show- und Zeigeakte“ reflektieren.

Sie tragen Discooutfits aus verschiedenen Jahrzehnten und sprechen vom Tanzen, von Sex und von Liebe, von ausgetauschten Blicken und eingenommenen Drogen. Dann singen sie wieder ein Lied zum Beispiel eine Mischung aus F.S.K.s „Nokturn“, also einem Songtext von Thomas Meinecke und den Lyrics aus „Funkytown“ von den Lipps Inc., die Uhe zu einer Ballade über den alten Ausgehkonflikt zwischen Nach-Hause-Gehen und Weiterziehen gemacht hat. Dazwischen werden an Leinwänden im Hintergrund der legendäre Nachrichtensprecher Jo Brauner und der „Märchenonkel der Nation“ Hans Paetsch eingeblendet, um sie kleine Texte zur Nacht und zur Liebe beitragen zu lassen. Klar wird dadurch: Gott sei Dank sind wir keine von denen, zumindest können die nicht von dem sprechen, was wir hier erlebt haben.

Wobei das „Wir“ auf die Schauspieler beschränkt bleibt. Nicht nur, dass das Publikum nicht im Discooutfit erschienen ist, es möchte auch nicht mitfeiern. Es bleibt bei einzelnen Lachern über die Unbeholfenheit und das Stottern und Stammeln der kaputten Clubtypen. Pucher will es nicht in das Nachtleben hineinreißen, er präsentiert es ihm als einen Zoo voller seltsamer Geschichten, in denen die Drogen immer noch von den anderen genommen werden und man sich in sicherer Distanz über die Posen und Possen derer lustig machen kann, denen das „Abenteuer der Nacht“ alles bedeutet.

Angeführt von Lena Lauzemis und Thomas Schmauser schwelgen die Schauspieler also in den Superlativen der Nacht und versuchen sich als Band. Dabei fügt sich ihr Dilettantismus an den Instrumenten, die sie eigens für das Stück erlernten, folgerichtig in ihre übrige drogenrauschentlehnte Kaputtheit.

Durch die immer wieder aufgerufene Konzertsituation wird aber verstärkt, was auch sonst dazu führt, dass das Stück gefällig bleibt, aber nicht mehr: die große Distanz zwischen Publikum und Spielenden. Am Ende steht eine alte Einsicht: Entweder du warst dabei auf der Party des Jahrhunderts oder nicht. Entweder du sagst Ja zum kaputten Leben oder bleibst draußen. Danach bleibt nur eine vage Erinnerung, die Magie des Moments ist verloren.