: Geheimzug nach Mölln
Mit der „Möllner Notkonfirmation“ vor 70 Jahren zeigten 160 junge Lübecker und ihre Eltern Zivilcourage. Mit einer Nacht- und Nebelaktion verhinderten sie 1937, unterstützt von der Lübeck-Büchener Eisenbahn, dass Nazi-Pastoren sie konfirmieren konnten
Es war ein couragierter Akt der besonderen Art: Über 1.000 Menschen haben im Jahr 1937 an der so genannten Notkonfirmation teilgenommen – in Mölln, einem Ort außerhalb des Einflussbereichs des Lübecker Bischofs. Denn der – Erwin Balzer – war explizit nazitreu und hatte acht Lübecker Pastoren der nicht nationalsozialistisch eingestellten Bekennenden Kirche im Januar 1937 eingesperrt und ihnen jede Amtshandlung verboten. Auch die für März 1937 vorgesehene Einsegnung der Konfirmanden, die sich so plötzlich ihrer Seelsorger beraubt sahen.
163 von ihnen wollten das nicht hinnehmen und sich auch nicht von den gleichfalls linientreuen, von Balzer angebotenen Ersatzpastoren einsegnen lassen. Also suchte man nach Auswegen. Eine mutige Lösung fand sich bald: In der Kirche St. Nicolai im nahe gelegenen Mölln segneten Pastoren der umliegenden Gemeinden die Lübecker Konfirmanden ein. Eine Aktion, für die die Lübeck-Büchener Eisenbahn eigens Sonderzüge bereitstellte; deren Chef zählte zu den Eltern der Konfirmanden.
Das alles geschah natürlich unter strengster Geheimhaltung: „Die Eltern sind von Haus zu Haus gegangen und haben weitergegeben, wann der Sonderzug abfahren würde. Das war schon ein Risiko“, erinnert sich die inzwischen 86-jährige Lübeckerin Christa Schöning. Auch sie saß am Abend vor Palmsonntag 1937 im Geheimzug nach Mölln. Ihre Schwester sollte dort konfirmiert werden.
Insgesamt 1.000 Menschen setzten sich an diesem Tag aus Lübeck ab. „Wir Kinder waren natürlich darauf gespannt, dass es losging. Und die Erwachsenen haben so lange gezittert, bis der Zug sich endlich in Bewegung setzte“, erzählt Gisela Potschkat, eine der 163 Konfirmanden von damals. Später wurde bekannt, dass die Gestapo damals sehr wohl von dem Sonderzug nach Mölln gewusst hatte. Aber sie griff nicht ein. „Wir waren mit 1.000 Leuten wohl eine zu große Gruppe. Das hat uns auch Mut gemacht. Wir zogen ja alle an einem Strang“, erinnert sich Christa Schöning.
Die Notkonfirmation geriet zum Höhepunkt des so genannten Lübecker Kirchenkampfes, in dessen Verlauf Anhänger der Bekennenden Kirche bereits mehrmals zu den Häusern der arrestierten Bischöfe gezogen waren und Choräle gesungen hatten. Der nazitreue Bischof, vor dessen Haus die Gläubigen ebenfalls ihre Lieder sangen, hatte dagegen sofort die Polizei gerufen. Er habe keine Angst „vor den Chorälen des protestantischen Kirchenvolks“, gab er damals zu Protokoll. Wenig überraschend also, dass schon der vorbereitende Unterricht der „Notkonfirmanden“ heimlich in Privatwohnungen abgehalten worden war.
Auch die Konfirmationsfeier selbst in Mölln wurde so gewissermaßen zu einem konspirativen Akt. „Alle in der Kirche spürten, dass das etwas ganz Besonderes war“, erinnert sich Christa Schöning. „Es war fast Mitternacht. Und da entstand dann wirklich eine innere Gemeinschaft, und es fiel alles ab, was uns belastet hatte.“
In der voll besetzten Kirche wurden Grußworte aus dem ganzen Land verlesen und Loblieder gesungen. In der Predigt ermahnte der Flensburger Pastor Mohr die Konfirmanden zu „unbedingter innerer Sauberkeit“ und rief sie dazu auf, nicht dem Irrweg der Nazis zu folgen. „Wir wurden nicht nur von unseren Eltern vorgeschickt. Wir wussten als Konfirmanden ganz genau, um was es ging“, erinnert sich Gisela Potschkat. Für sich selbst fällte sie damals eine wichtige Lebensentscheidung. „Als ich da kniete, um den Segen zu empfangen, habe ich ganz stark innerlich gebetet: Jesus, Dir will ich treu bleiben. Und ich habe das mein ganzes Leben lang beherzigt.“
Unter Glockengeläut zog die Gemeinde später zurück zum Möllner Bahnhof. „Die Nacht in Mölln hat alle in der Kirche elektrisiert“, erinnert sich Gisela Potschkat. „Wieder zurück in Lübeck, sind wir noch in derselben Nacht vor die Wohnungen der eingesperrten Pastoren gezogen und haben Choräle gesungen.“
Wie nicht anders zu erwarten, verschwieg die nazitreue Presse die Möllner Notkonfirmation. Doch die Nachricht machte schnell die Runde und ermutigte die Bekennende Kirche in Deutschland nachhaltig. Eine Publicity, die die Nazis offensichtlich nicht schätzten: Der linientreue Lübecker Bischof Balzer bekam aus Berlin sehr bald den Befehl, die eingesperrten Pastoren freizulassen.
In Lübeck haben sich mutige Christen nicht einschüchtern lassen. Zu einem Zeitpunkt, als es noch möglich war, wehrten sie sich gegen eine Verfälschung ihres Glaubens. Und gewannen.
DANIEL KAISER
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