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Archiv-Artikel

Berlin feiert Europa – oder auch nicht

Viel war los beim Europafest am Brandenburger Tor. Der Verdacht, dass die BerlinerInnen die Feste feiern, wie sie fallen, lässt sich indes nicht ausräumen. Einige aber – auch das ist Berlin – nutzten den Anlass zum Protestieren

In Europa kann es ganz schön eng werden – vor allem, wenn der 50. Geburtstag der Europäischen Union in Berlin gefeiert wird. Zehntausende schoben sich gestern zwischen den 75 Infoständen auf der Europa-Fanmeile am Brandenburger Tor entlang und versuchten vor allem eins: sich trotzdem zu freuen.

Lenard Lieb brauchte etwas Zeit, bis er sich durch das Brandenburger Tor zur Konzertbühne gekämpft hatte, auf der Bands aus den verschiedenen EU-Ländern auftraten. Der 24-Jährige nahm das Gedränge gelassen: „Europa ist cool – diese Idee des friedlichen Zusammenlebens.“ Und sein Freund Severin Peters: „Die EU ist für die meisten so abstrakt, ihre Politik so weit weg. Das Fest ist doch super. Es zeigt, dass Europa mit Gefühlen verbunden ist.“

Auch Nadine Geißler ist EU-Fan: „Wo gibt es das sonst, dass so ein komplexes System, in dem so irre viele Meinungen zusammentreffen, zu einem Resultat kommt.“ Die 21-Jährige zog mit Freunden über die Festmeile, um die europäischen Länder, deren Institutionen und Köstlichkeiten zu erkunden.

Distanzierter kommentierte Marcel Viersen vom Rand aus das Geschehen: „Berliner feiern immer, sei es die Fußballweltmeisterschaft oder eben jetzt ein halbes Jahrhundert EU. Denen ist egal, was der Anlass ist.“

Wegbleiben mussten allerdings die überzeugten EU-Gegner. Sie durften nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht in der Nähe des Brandenburger Tors. „Das Europafest ist verlogen. Es ist eine Beweihräucherungsveranstaltung. In der EU gibt es nichts zu feiern“, sagte Martin Mitterhauser, Mitorganisator der Demonstration, die unter dem Motto stand: „Nein zum Europa des Kapitals“. Die Europäische Union sei kriegstreiberisch, wie sich etwa im Irak oder Afghanistan zeige. Sie sei auch rassistisch, wenn es um die Behandlung von Flüchtlingen geht.

Doch der Protest der EU-Gegner fiel kleiner aus als erwartet. 1.000 Menschen zogen von der Alexanderstraße zur Friedrichstraße, ursprünglich wurde mit 10.000 TeilnehmerInnen gerechnet. „Es liegt wohl an der Zeitumstellung, und die Polizei macht viele Vorkontrollen“, sagte Mitterhauser. So jedenfalls hatten die Demonstranten viel Platz für sich und die Transparente: „Hoch die internationale Solidarität“, „Neee zur EU-Verfassung“ oder „Nein zu einem rüstungsgeilen Europa“ waren darauf zu lesen.“ Der Protest blieb nach Polizeiangaben friedlich.

In der Nacht zu Sonntag waren zwei Brandanschläge auf geparkte Autos in Friedrichshain verübt worden. In der Nacht davor hatte bereits in Mitte ein „Europa-Infomobil“ in Flammen gestanden. Die Polizei schloss einen politischen Hintergrund in beiden Fällen nicht aus.CHRISTINA HEBEL