„Ich leide zu wenig“

Seit zehn Jahren gibt es in den USA einen eigenen Dachverband dafür, neuerdings bestreitet der WDR sogar eine Sendung damit. Aber was ist das eigentlich genau, ein Poetry-Slam? Sport? Poesie? – Eine Mischung aus beidem, meint jedenfalls Gabriel Vetter, 24. Ein klärendes Gespräch mit dem europäischen Champion über die boomende Kunst des improvisierten Bühnenvortrags

Interview JOHANNA SCHMELLER

Gabriel Vetter: Moment! Ich muss mir einen Stuhl suchen. Ich ziehe um. Und ausgerechnet im einzigen Zimmer, wo das Telefon noch funktioniert, steht nichts mehr. Große Telefonzelle, sozusagen. Ich habe eine Hirnhautentzündung, nehme Schmerzmittel, mit denen könnte man ein Pferd stilllegen. Hallt es?

taz: Ja, es hallt. Ich höre Sie doppelt. Herr Vetter, ist Slam mehr Sport oder Poesie?

Interessant finde ich gerade die Mischung: eine Lesung, aber mit Wettbewerbscharakter. Das war die Grundidee von Marc Smith, als er den Slam 1986 ins Leben rief, und das ist der Grundzug, der den Slam so bekannt gemacht hat. Dichterlesungen sind oft etwas dröge, die Autoren und Autorinnen distanzierten sich von ihrem Text.

Woher die Distanz?

Gerade in Deutschland oder in der Schweiz hat man sich als Schriftsteller schon fast als religiöses Medium zu verstehen, durch das der Text nur fließt. Bislang produzierte man einen Text zwischen zwei Buchdeckeln und scheute sich, sich selbst auf einer Bühne körperlich damit auseinanderzusetzen.

Und jetzt?

Das hat Slam radikal verändert: Dass Literatur einen physischen Umgang mit dem eigenen Text nicht ausschließt – das ist das Interessante! Der Irrsinn am Slam ist, dass man versucht, an einem Abend Rapper, Kabarettisten und 15-jährige Mädchen, die ihre Tagebucheinträge vortragen, gegeneinander antreten zu lassen, und dann vom Publikum verlangt, einen Sieger zu küren. Beim Slam kann es gerade deshalb nie wirklich ums Gewinnen gehen, sondern um eine intensive, körperliche Auseinandersetzung mit einem Text.

Seit Ende Februar läuft die erste regelmäßige Poetry-Slam-Sendung im WDR. Wird das Medium Fernsehen den Slam verändern?

Es war absehbar, dass Slam ein immer größeres Publikum mit sich ziehen wird. Ich kann mich erinnern, dass wir in meiner Schweizer Heimatstadt Schaffhausen vor vier Jahren noch in einem winzigen Keller auftraten. Jetzt füllen wir den größten Club der Stadt. Je mehr Leute Slam überzeugt, umso größer werden die Austragungsorte.

Keine Angst vor einem Verlust an Street-Credibility?

Natürlich gibt es diese Kritik auch in der Slamszene selbst, weil man sich immer noch gern als Untergrundkultur verstehen möchte. Ich finde, Untergrundkultur oder etablierte Kultur, das definiert sich nicht primär über den Austragungsort. Sicher verändert sich der Slam, wenn er ein größeres Publikum erreicht. Es wird immer mehr Slammer geben; dem Slam kann das nur gut tun.

Sie haben eine Slamolympiade gewonnen, eine CD veröffentlicht und im letzten Jahr den Salzburger Stier bekommen, den wichtigsten Kabarettpreis im deutschsprachigen Raum.

Ich bin da so reingeschlittert. Mein erster Slam wurde von einem Freund organisiert. Ich habe damals im ersten Semester Jura studiert und nebenher ein wenig gedichtet, und er brauchte noch Teilnehmer. Also habe ich mitgemacht – und gewonnen. Wollen Sie die romantische Variante?

Bitte.

Ich fand keine Erfüllung in diesem kalten Studium. Ich musste schreiben.

Oje. Lieber doch die unromantische Version.

Mir war langweilig, also habe ich gedichtet. Mit sieben wollte ich bereits einen Krimi schreiben, „Tod in den Rosen“ oder so ähnlich. Ich habe viele Blätter zusammengeheftet und ein schönes Titelbild gemalt. Als ich die Seiten betexten wollte, ist mir aufgefallen, dass ich so blöd getackert hatte, dass man nichts mehr hineinschreiben konnte. So ging meine erste literarische Karriere zu Ende.

Und wie begann dann Ihre zweite Karriere? Mit einem Glas Wein und einer Zigarre?

Da haben Sie gar nicht unrecht. Manchmal falle ich in das Zelebrieren meines Dichtertums hinein, setze mich extra nachts mit zwei Schachteln Zigaretten, Kaffee und Dreitagebart hin und beobachte mich beim Leiden. Leider wird das nach höchstens zehn Minuten langweilig und ich merke: Irgendwas stimmt hier nicht.

Sie leiden zu wenig?

Das ist genau das Problem! Ich würde gern richtig leiden, aber es geht nicht! Ich möchte dem Klischee des 19. Jahrhunderts entsprechen, aber wenn ich wirklich leide, kann ich nicht funktionieren. Lange habe ich mir Poesie so vorgestellt: Über sieben Brücken musst du gehn, sieben dunkle Jahre überstehn, dann hast du einen guten Text. Eigentlich ein christliches Bild: Viel harte Arbeit, viel Leid – dann habe ich etwas verdient, etwas geschafft. Aber das stimmt nicht! Meine besten Texte entstehen ohne große Mühe, ganz pragmatisch: Ich habe immer ein Notizbuch dabei und notiere, was mir auffällt. Wenn ich einen Text schreiben will, setze ich mich hin und überlege, was sich aus diesen Fragmenten machen lässt.

Klingt auch nicht unromantisch.

Finden Sie? Das ist doch wie einkaufen: Man geht los, lagert die Einkäufe im Schrank, bekommt Hunger, muss etwas kochen. Und dann ist eben doch nur Reis da und etwas …

Tomatensauce?

Pasta. Oje, was für eine schlechte Metapher. Also: Ich schreibe schnell, assoziativ. Am Anfang steht ein Wort, ein Satz aus meinem Notizbuch. Wenn ich ein Gedicht dahinrotzen kann, in Trance gerate – dann kommen wirklich gute Sachen heraus. Aber am liebsten würde ich eigentlich sowieso den ganzen Tag vorn auf einem Dach sitzen und die Leute beschimpfen, die unten vorbeilaufen.

Gerade schreiben Sie an einem Theaterstück. Worum geht es?

Um zwei Menschen, die einem Hamster das Sprechen beibringen möchten.

Und nebenbei …

Nein, mein Studium habe ich inzwischen aufgegeben. Im letzten Jahr hatte ich allein 112 Liveauftritte. Da ich nur vom Schreiben lebe, muss ich ständig unterwegs sein. Manchmal fahre ich sieben Stunden nach Berlin und dann wieder zurück, für zehn Minuten Auftritt. Das stresst, zehrt.

Gefallen Ihnen Ihre älteren Texte heute noch?

„Endlösung Natur“ zum Beispiel habe ich vor vier Jahren geschrieben und weiß nicht, ob ich das heute noch machen würde, nationalsozialistische Gesten benützen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen.

Vernünftig geworden?

Unvernünftig war ich nicht, die Grenzen der politischen Korrektheit sind so fließend. Als ich „Endlösung Natur“ zum ersten Mal in München vorgetragen habe, war ich ein Schweizer um die 20, der auf und ab springt wie ein Rumpelstilzchen: „Auf, in vollster Kampfmontur, in Sachen Endlösung Natur“! Die eine Hälfte des Publikums hat sich geräuspert, der Rest hat gejohlt. Das war seltsam, ich stand dazwischen: „Oh nein! So eben nicht! Tschuldigung!“

Sie hatten ehrlich ein schlechtes Gewissen?

Ich bin richtig erschrocken! Plötzlich habe ich gemerkt, was man mit Sprache auf einer Bühne alles machen kann: Einen Saal zum Lachen bringen, das Publikum betroffen oder wütend machen. Beeindruckend, was man da anrichten kann.

GABRIEL VETTER, geboren 1983 in Schaffhausen, Schweiz, bezeichnet sich als Journalist, Dramatiker und Lyriker. 2004 siegte Vetter beim German International Poetry Slam, 2005 erschien seine Debüt-CD „Tourette de Suisse“. 2006 wurde Vetter mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet. In der vierköpfigen Slam-Poetry-Formation SMAAT veröffentlichte er 2006 die CD „SMAAT love is good love“. Auftritte: 2. April, 19 Uhr, Kato, Berlin; 3. April, 19 Uhr, PotSlam, Potsdam