: Vom schönen Matrosen
Solide Neuauflage: Als zweiten Beitrag zu ihrem aktuellen Zyklus mit Arbeiten von Benjamin Britten bringt Hamburgs Opernintendantin die Adaption von Herman Melvilles letztem Roman „Billy Budd“ wieder auf die Bühne
von ALEXANDER DIEHL
Eine Rechtfertigung für Gottes Wege gegenüber dem Menschen, des Autors letzter Protest gegen die Natur der Dinge und das Schicksal, eine Geschichte vom Triumph der Unschuld: Viel ist gemutmaßt worden über die Moral, die Herman Melville beim Schreiben seines letzten Kurzromans „Billy Budd“ im Sinn gehabt haben mag. Seither wird Billy Budd, dieser alle an Bord der „HMS Indomitable“ betörende Vortoppmann, dessen Tod beinahe zur Meuterei führt, mit dem des Paradieses verwiesenen Adam oder Jesus Christus identifiziert – wenn nicht gleich mit beiden.
Nun ist ein Opernbesuch vom Kirchgang zu unterscheiden, und mit einem Sakralbau hat die Musiktheaterbühne, die sie sich an Alster und Elbe gönnen, wenig zu tun. Aber vorgestern Abend, am Ende der Premiere von Simon Phillips’ neuer Inszenierung von „Billy Budd“ – beziehungsweise: kurz vor dem Ende – wurde die herausgeputzte Hanseatenschar zu Zeugen einer sprichwörtlichen Himmelfahrt.
Überhaupt: An der Frage nach der Möglichkeit von Erlösung kam niemand mehr vorbei, der sich an diesem letzten, nicht mehr fertiggestellten Buch Herman Melvilles abgearbeit hat: Zwischen 1886 und 1891 hatte Melville daran ge- und das Manuskript mehrfach überarbeitet. Nach seinem Tod dann verlor sich sein Text, um nicht vor 1924 auch wirklich veröffentlicht zu werden.
Nochmal gut 20 Jahre später begann der britische Komponist Benjamin Britten sich mit der kaum romantischen Seefahrergeschichte zu befassen: 1948 traf er dazu mit den Autoren Eric Crozier und Edward Morgan Forster zusammen, 1951 konnten sie eine Opernfassung vorlegen. Keine Kammeroper, wie Britten sie zuvor verfertigt hatte, sondern die unter seinen Arbeiten, die nach dem größten Apparat und dem meisten Personal verlangt.
Britten überarbeitete diese erste, in vier Akte gegliederte Fassung, um 1961 dann einen gestrafften, aber kaum kürzeren Zweiakter daraus werden zu lassen. Diese spätere Fassung ist nun, nach einer Inszenierung in den frühen 1970er Jahren, wieder auf die erwähnte Hamburger Bühne gebracht worden – als Teil eines Zyklus von Britten-Opern, an dessen Anfang Hamburgs neue Generalmusikdirektorin, die zuletzt als ein wenig glücklos gehandelte Simone Young, im Vorjahr den „Sommernachtstraum“ gesetzt hatte.
Apropos Glück: Young, die den „Billy Budd“ wiederum selbst dirigiert, zeigte sich am Premierenabend erleichert darüber, dass „Brittens düstere Seefahrer-Ballade“ (dpa) in der vorliegenden soliden Inszenierung ganz offensichtlich besser gelungen war als die letzte Premiere der laufenden Spielzeit.
Aber worum geht es da nun überhaupt? 1797, bald nach Beginn der napoleonischen Kriege, wird Billy Budd – in Hamburg gegeben von Nmon Ford – mit zwei anderen Männern für das Kriegsschiff „Indomitable“ zwangsrekrutiert. Billy ist als einziger geradezu erfreut, an Bord eingesetzt zu werden, allen Strapazen und aller Willkür zum Trotz. Für entsprechend verfasste Gemüter mag es dieser (naive) Eifer sein, der alle an Bord für den Neuling einnimmt. Spätestens mit dem Libretto von Forster und Crozier indes muss hier von einem – im Rahmen des zeitgenössisch möglichen – schwulen Subtext dieser Oper – die ohne eine einzige Frauenrolle auskommt – gesprochen werden: Denn was da schließlich zum Tode der scheinbaren Lichtgestalt führt, ist das uneingestandene Begehren der beiden mächtigsten Männer an Bord: des Captains, Edward Fairfax Vere (Timothy Robinson), und des Schiffsprofos’, John Claggart (Peter Rose). Weil dieser es sich nicht einzugestehen vermag, sinnt er auf die Zerstörung des begehrten Objekts. Also intrigiert er gegen den „schönen Matrosen“ (Melville), der sich schließlich nicht anders zu helfen weiß, als ihn zu erschlagen.
Was wiederum den Kapitän, den einzigen Zeugen des Vorfalls, vor die Wahl stellt, den – auch von ihm begehrten – Billy zu retten, was aber dem Kriegsrecht widerspräche. Oder sich eben an dies irdische Gesetz zu halten und den Vortoppmann am Strick zu opfern. Und so kommt es – woran Vere schließlich zerbricht.
nächste Aufführungen: 28. + 31. 3., + 10. 4., Hamburgische Staatsoper