: Schwefelgelb leuchtet die Mauer
WILDE MALEREI Rainer Fetting lässt sich von Keilrahmen und Leinwand nicht schrecken. Er will Gefühl, Rhythmus und Spontaneität in Farbe umsetzen. Die Berlinische Galerie widmet ihm jetzt eine Retrospektive
VON ACHIM DRUCKS
Rainer Fetting als Vincent van Gogh: Mit Wahnsinn im Blick streift der Maler durch Kreuzberg. Er trägt eine farbbefleckte Flokati-Jacke kombiniert mit schreiend pinken Spülhandschuhen. Nach einem Kurzen in der Kneipe geht’s an die Mauer. Blaue, rote, gelbe Farbe wird auf den Beton gespritzt, in Ekstase verschmiert. Fettings 1983 entstandener Film „R. F.s Zeitgeist“ kommt als ziemlich lustige Parodie auf das Klischee vom Künstler daher – auf den genialischen Schöpfer, der sein Innenleben ungebremst nach Außen kehrt. So viel Witz und Respektlosigkeit hätten Fetting wohl nur wenige zugetraut. Der holländische Maler, Inbegriff des leidenden Künstlers, ist eines von Fettings erklärten Vorbildern. Nicht nur im Film schlüpft er in dessen Rolle, sondern auch auf seinen Gemälden. Das häufig vermittelte Bild vom humorlosen „Neuen Wilden“ ist eben auch nur ein Klischee.
Zu sehen sind diese Filmszenen, die ganz nebenbei einen Eindruck von der ganzen Tristesse des damaligen Kreuzbergs vermitteln, in der Berlinischen Galerie. Nach gut 20 Jahren ist „Rainer Fetting. Berlin“ die erste institutionelle Einzelausstellung in der Stadt, in der er seit 1972 hauptsächlich lebt. Mit rund 40 Gemälden und Papierarbeiten aus vier Dekaden fokussiert die Schau auf Werke, die mehr oder weniger mit Berlin zu tun haben. (Selbst-)Porträts stehen am Anfang.
Auch hier geht es um Rollenspiele – inhaltlich und formal. Gleichzeitig inszeniert sich Fetting 1973 als Bier trinkender Prolet im karikaturhaft-realistischen Stil von Johannes Grützke und als sensibler HdK-Student, wofür er schon eine wesentlich freiere Malweise nutzt. Vier Jahre später blickt er als breitschultrige Blondine im fliederfarbenen Spaghettiträgerkleid dem Betrachter selbstbewusst in die Augen. Bei seinem Kippenberger-Porträt löst sich das Gesicht des Malers dann in großzügigen Pinselstrichen auf.
Berlin ist für den 1949 in Wilhelmshaven geborenen Künstler ein Ort, um dem Muff der norddeutschen Provinz zu entkommen. Hier lebt er mit seinem Lover Salomé in einer Fabriketage mit Mauerblick. Im Erdgeschoss befindet sich die Galerie am Moritzplatz, die die beiden 1977 gemeinsam unter anderem mit Helmut Middendorf gründen. Das Projekt wird zur Keimzelle einer erneuerten, „heftigen“, gegenständlichen Malerei. Zwar filmen, fotografieren und performen die Moritzboys auch, doch ihre schnelle Karriere verdanken sie einem Medium, dass in den Zeiten von Minimal und erweitertem Kunstbegriff als antiquiert, ja reaktionär gilt.
„Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen.“ So bringt Beuys die damals verbreitete Haltung auf den Punkt. Und schlimmer noch: Während die Konkurrenz in Köln und Hamburg mit Art-brut-Reminiszenzen und in dumpfen Braun-Grün-Tönen gehaltenen Bad Paintings die Malerei an sich in Frage stellt, gelten die Berliner als Produzenten zeitgeistiger Sofabilder von nur geringem intellektuellen Gehalt.
Tatsächlich geht es Fetting um einen Gegenentwurf zu der als schmallippig empfundenen Konzeptkunst: „Wir wollten Gefühl, Rhythmus, Spontaneität in Farbe umsetzen, auch wenn das heute sehr klischeehaft klingt. Aber für mich war es immer wichtig, Bilder zu malen, die man auch ohne kunstgeschichtliche Vorkenntnisse versteht. Meine Bilder sollten auch bei Laien Emotionen hervorrufen – wie das in der Rockmusik auch funktionierte“, erklärt er 1999. Wie gut er diesen Anspruch eingelöst hat, zeigen seine Musikbilder in der Berlinischen Galerie. Das Motiv „Drummer und Gitarrist“ wird in diversen Versionen durchgespielt: Dynamische Linien und Perspektiven, ein klug gewählter Bildausschnitt, intensive Farben transportieren die ganze Energie eines Konzerts im New Yorker Club CBGB’s. Mitternachtsblau kollidiert mit Orange, Rot mit Türkis. Und sogar die graue Frontstadt bringt Fetting zum Glühen: Schwefelgelb leuchtet die Mauer im nächtlichen Kreuzberg, violett und dunkelrot die Altbauten.
In den frühen Achtzigern fängt der Künstler das Lebensgefühl einer Szene ein, die ihre Diskurse eher in Institutionen wie Dschungel, SO36 oder Exil führte als an der Uni. Zugleich formieren sich diese Bilder zu einem persönlichen Panorama Westberlins. 1983 ist ihm dieses Biotop zu öde geworden, und Fetting geht nach New York. Der Fall der Mauer lässt ihn zurückkehren. Seine neuen Stadtlandschaften sind von Baustellen, Kränen und gestiefelten Nutten bevölkert, die auf Kundschaft warten. Es tut sich was in der Stadt. Sie hat wieder angefangen zu leuchten.
■ Bis 12. September, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Mi. bis Mo., 10 bis 18 Uhr. Katalog (Hirmer Verlag) 24,80 Euro; aktuelle Bilder von Rainer Fetting auch in der Galerie Deschler, Auguststraße 61