DVDESK
: Sonne und Trauer, Aufbruch und Angst

Michael Winterbottom: „Genova“, mit Catherine Keener, Colin Firth u. a., Großbritannien 2008, 94 Min., ab ca. 12 Euro im Handel

Mit der Rolle des trauernden Professors in Tom Fords „A Single Man“ und seiner Performance als stotternder Prinz und halbwegs entstotterter König in „The King’s Speech“ erlebt Colin Firth gerade einen zweiten Frühling und erhielt seinen ersten Oscar. Die Gelegenheit ist also günstig, einen weiteren Firth-Film nachzureichen, der insgesamt ziemlich unterging und in Deutschland den Weg ins Kino nie fand. „Genova“ ist der Titel, der Brite Michael Winterbottom der Regisseur, 2008 entstand er und ist, schöne Ironie, allemal interessanter als die Stotter- und Trauerkloßdramen, die Firth seinen jüngsten Ruhm bescherten.

Dabei ist „Genova“ sogar fast so etwas wie ein Double des ein Jahr später entstandenen „A Single Man“. Auch hier verliert ein Professor an einer US-Universität durch einen Autounfall einen Nächsten: In diesem Fall ist es die Ehefrau, von Hope Davis gespielt, im Leben und Sterben noch vor dem Vorspann, als Erscheinung der Tochter im Fortgang. „Genova“ ist ein Film über das Weiterleben, über Trauerarbeit, jedoch mit anderem Ausgang als bei Tom Ford – und mit zwei Töchtern, die der Professor (wir kennen nur den Vornamen: Joe) mit Bedacht aus der vertrauten Umgebung Chicagos reißt und für ein Jahr in die schöne italienische Stadt Genua mitnimmt. Mary, die jüngere, trägt am Unfalltod der Mutter eine Mitschuld und an dieser recht schwer. Kelly, fast schon erwachsen, ist vor allem an den jungen italienischen Männern in Genua interessiert, spielt wie die Mutter Klavier (Chopin) und eignet sich als Hüterin ihrer Schwester außerordentlich schlecht.

Die Einladung nach Italien kommt von Barbara (Catherine Keener), einer alten Freundin, die an der Universität in Genua einen Job hat. Joe diskutiert mit jungen Italienern und nicht zuletzt Italienerinnen im Seminar über die Rolle des Papstes und liest mit ihnen eines der Shakespeare-Sonette über das Altern. Eine seiner Studentinnen, Rosa, wirft dennoch oder deshalb eindeutige Blicke in Richtung Joe. Später haben sie Lunch und blicken aufs Meer. Der Vater und seine Kinder bewegen sich immerzu durch die Stadt, man badet am Strand, vieles bleibt unausgesprochen, auf der Tonspur ist fast ständig Musik, nicht nur Chopin, denn die Komponistin Melissa Parmenter hat den Film auch koproduziert.

Während Tom Ford in „A Single Man“ seine Geschichte und seinen Protagonisten in gnadenlos überinszenierten Bildräumen buchstäblich erstickt, arbeiten Winterbottom und sein Stamm-Kameramann Michael Zyskind aber mit leichter Hand skizzenhaft und impressionistisch. So betont der Film nicht das Düster-Schwere der Trauer, sondern zeigt die fast zwanghaften Ablenkungsversuche, das Eingeholtwerden, das nervöse Weitermachen, das Verlorensein und die ständige Angst vor erneutem Verlust, aber auch die Suche nach neuem Anschluss ans Leben.

In den fast fiebrigen Schnitten, den lebendigen Handkamerabildern von langen Gängen durch die Gassen der Stadt gerät das Bild Genuas vielleicht etwas zu sehr zum stimmungsmalerischen Postkartenklischee; durchsetzt allerdings mit einer Unheimlichkeit und mit Geistererscheinungen, die an Nicolas Roegs Klassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ erinnern. In der eigenwilligen Mischung von Sonne und Trauer und Aufbruch und Angst ist „Genova“ kein großer, aber ein immer wieder faszinierender Film, dessen Stärke gerade darin liegt, dass er sich in keine Richtung eindeutig auflöst. EKKEHARD KNÖRER