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Vorwärts in die Vergangenheit

THEATER Die Shakespeare Company entfacht in der „umgedrehten Kommode“ Shakespeares „Sturm“ und zeigt die Welt, in der wir leben, in der Retrospektive

Fliegende Hüte, eine Flugreise mit gestressten Managern, die Bekenntnisse einer Flugbegleiterin – das sind echte Perlen, wie sie das Publikum der Shakespeare Company gewohnt ist

VON ANDREAS SCHNELL

Dass die ersten Vorstellungen der neuen Produktion der Bremer Shakespeare Company schon vor der Premiere ausverkauft waren, mag nicht zuletzt an der Örtlichkeit liegen, an der die Bremer Shakespeare Company den zweiten Teil von Lee Beagleys „Sturm“-Bearbeitungen zeigt: Der alte Wasserturm auf der Werderhalbinsel, vom Volksmund liebevoll „umgedrehte Kommode“ getauft, war bislang schließlich höchstens mal an einem Tag des Offenen Denkmals für die Öffentlichkeit zugänglich. Nun gibt es dort also ein paar Wochen lang Theater. Und das beginnt schon vor dem Stück, denn den Spielraum betritt man über ein Gerüst. Das soll durchaus Assoziationen wecken, an die Treppen, die zur Kabine einer Weltraumrakete führen.

Oben angekommen, gruppiert sich das Publikum längs eines Laufstegs, an dessen einem Ende die Instrumente einer Band aufgebaut sind. Angekündigt ist „Shakespeares Pleasure Island“ als „Cabaret-Cocktail“, und dazu gehört natürlich Musik. Schon werden wir in eine Zukunft entführt, in der das 20. Jahrhundert so etwas ist wie uns das finstere Mittelalter. Eine Zeit, in der alles ein Stück weit barbarischer war und die Menschen beschlossen, eine neue Welt zu schaffen. Eine bessere natürlich. Wie schon bei Shakespeare wird dieses Projekt auf überschaubarem Raum durchexerziert, die Insel, auf der Prospero seine Zauberkünste ausübt, ist zweigeteilt, die Menschen auf ihr natürlich auch. Da gibt es die Alpha-Typen und die Kategorie C – übrigens auch der Name einer politisch dubiosen Hooligan-Band aus Bremen. Und Fische kommen auch vor. Zwei Fische, die im nächsten Moment vergessen haben, was sie gerade gesagt haben. Der Abend beginnt sozusagen eher kleinteilig, das Assoziationsfeld ist weit. Und vom guten alten Shakespeare ist zunächst ebenfalls nicht viel zu sehen.

Im weiteren Verlauf ändert sich zumindest das. Die Varieté-Form, in der sich hinreißende satirische Szenen mit Musikeinlagen abwechseln, erlaubt es auch, Motive des „Sturms“ einzubauen. Allerdings fällt es innerhalb der zwei Stunden, die dieses Stück dauert, nicht immer leicht, den Überblick zu behalten.

Immerhin schält sich schon bald so etwas wie eine Botschaft heraus, die – verkürzt gesagt – ein Plädoyer für Individualität ist, für das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, und nicht zuletzt eine durchaus gewitzte Polemik gegen den grausamen Standpunkt, den Menschen vor allem auf seine Funktionalität für die Gesellschaft zu beurteilen. Zurück zu den Fischen, zurück zur Kategorie C. Die einen werden in ihrem Ehrgeiz gezeigt, ihre instinktive Existenz zu überwinden, nach mehr zu streben: „Stell dir vor, du könntest Sex genießen!“ Die Menschen wiederum scheinen allzeit bestrebt, sich nur mehr als Rädchen im Getriebe einzurichten und ansonsten mit Hilfe von Drogen gezielt zu vergessen, was gewiss mit voller Absicht an Huxleys neue Welt erinnert. Hat offenbar mit der Band Kategorie C nichts zu tun, oder ist das vielleicht doch eine weitere Anspielung in einem an Anspielungen alles andere als armen Stück? Womit wir bei einer Schwäche des Abends wären: Zwar rechtfertigt der Varieté-Charakter die Aufsplitterung der Geschichte in eine Reihe von Nummern. Allerdings scheint so etwas wie ein roter Faden auch dem Stück selbst nicht immer ganz klar zu sein, weshalb es sich am Ende in eine Reihe von Songs rettet, die auch deswegen nicht viel zum größeren Verständnis beitragen, weil sie auf Englisch gesungen werden.

Dass man sich das aber trotz einiger Längen und Undeutlichkeiten gern ansieht, hat seinen Grund unter anderem in den vielen wunderbaren Einfällen, mit denen Beagley und die Schauspieler der Company, die allesamt gekonnt ihr komödiantisches und auch musikalisches Talent ausspielen, die kleinen Szenen mit wenigen Requisiten liebevoll ausmalen. Fliegende Hüte, eine Flugreise mit gestressten Managern, die Bekenntnisse einer Flugbegleiterin – das sind Perlen, wie sie das Publikum der Shakespeare Company gewohnt ist. Und von denen gibt es auf „Shakespeares Pleasure Island“ einige zu entdecken.

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