MEINE GROSSMUTTER : Sie sind weg, aber daDie, die aufpasst
WACHEN Sie waren Menschen an unserer Seite. Dann wurden sie zu Engeln. Vier Geschichten vom Beschützen
Ich trage keine Hasenpfoten bei mir, keine Talismane, keine Energiesteine. Der Kirche misstraue ich von ganzem Herzen, bin nicht einmal sicher, ob es einen Gott gibt.
Ich habe eine Oma im Himmel. Sie heißt Johanna Küppers.
Sie hatte kein besonders gutes Leben. Nur einen Mann, den sie nicht besonders liebte. Sie hielten es nicht aus miteinander, ohne einander auch nicht. Sie wollte durch Paris laufen mit einem weiten Hut. Er stellte sie hinter eine Ladentheke, ließ sie saure Gurken verkaufen. Immer hat sie gearbeitet, immer war sie pleite. Rücken kaputt vom Schleppen der Gurkenfässer, Beine kaputt vom Stehen im Laden. Hat mich geliebt. Hat Marzipan geschenkt. Mir Toastscheiben auf der Herdplatte geröstet.
Sie war nur Anfang sechzig, als sie starb. Ich war nicht auf ihrer Beerdigung. Lief mit einem schönen Mann durch Wien. Sie passt trotzdem auf. Manchmal sagt sie dies und das. Meistens wenn die Lage schlimmer wird. Die Vorstellung, sie könnte ganz verschwinden, macht mich verrückt. KIRSTEN KÜPPERS
MEINE OMA
Die, die rettet
Meine Großmutter starb, als ich noch sehr klein war. Ich kann mich kaum an sie erinnern, doch in den Erzählungen meiner Geschwister und Eltern ist sie mir gegenwärtig geblieben. Über die Jahre wurde sie, die ihrer Zeit voraus war – selbstständig, Raucherin, Autofahrerin –, sogar immer größer, schillernder, stärker.
Die einzige Erinnerung an meine Großmutter ist wie ein Schatten, den ich vielleicht nur geträumt habe: Sie biegt, mit einer großen, mondänen Sonnenbrille im Gesicht, in den Weg zu unserem Haus ein. Als Tonspur zu diesem Bild habe ich nur eine Musikkassette, auf der ihre schon brüchig gewordene Stimme zu hören ist. Immer wieder hatte ich nach ihr gefragt, ich wollte alles über sie wissen, ihr so nahe wie möglich kommen – aber weg war sie doch, unberührbar.
Erst später, als ich die Obhut meiner Familie verlassen hatte und versuchte, fern der Heimat erwachsen zu werden, wurde sie, der Schatten, plötzlich wirklich. Es ging mir nicht gut. Es ging mir so schlecht, dass ich wirklich Hilfe brauchte. Das Fenster zur Straße hin war so nah, dahinter nichts als Abgrund. In diesem Moment wurde meine tote Großmutter zu meinem Schutzengel, der mir Halt gab. Ich berührte ihre alten Bücher, die ich mit in mein neues Leben genommen hatte. Ich hörte ganz tief in mich hinein, und auch wenn ich ihre Stimme nicht wirklich hören konnte, so meinte ich doch, sie zu spüren.
MARTIN REICHERT
MEIN VATER
Der, der einflüstert
Von all meinen Toten ist mein Vater mir der Liebste. Zu seinen Lebzeiten war er ein Herumstreuner, Alkoholiker, Taschendieb und liebenswerter Geschichtenerzähler. Und jetzt, im Tode, ist er mein kleiner Mephisto, der mich stets vom rechten Weg abzubringen versucht. Wenn ich nachts an der Theke stehe und nach Hause gehen sollte, da ich am nächsten Morgen früh rausmuss, sagt er: „Ach, jetzt sei doch kein Spießer. Trink noch ein Bier und rauch noch eine Zigarette. Lass es dir gut gehen, mein Sohn.“
Vor ein paar Jahren hat man mir einen sehr gut bezahlten Job unterbreitet. Die Arbeit wäre jedoch recht monoton und langweilig gewesen. Und was macht mein Vater? Er schleicht sich in meinen Traum, streckt mir die Zunge heraus, schneidet Grimassen und beschimpft mich als kleinen Pupser und angepassten Schnösel. Ich bin schweißgebadet aufgewacht und habe das lukrative Angebot schließlich abgelehnt.
Mein exzentrischer Einflüsterer schüttelt den Kopf, sobald ich selbstgerechte Meinungen in die Welt hinausposaune, und gratuliert mir zu einem wahnwitzigen Gedanken oder einer sündhaften Nacht. Ja, er ist in und bei mir, fordert mich zur Unvernunft auf und behauptet, das Leben sei zu kurz, um tugendhaft zu sein.
ALEM GRABOVAC
MEIN FREUND
Der, der spricht
In der Nacht, nachdem du gestorben bist, habe ich mitten in Afrika in den Himmel geschaut. Ich wusste noch nicht, was passiert war, denn in diesem Teil des Landes gibt es kein Handynetz. Da sitze ich also neben einem Feuer und schaue in die Milchstraße. Und plötzlich fällt eine Sternschnuppe, und ich komme nicht dazu, mir einen Wunsch zu überlegen, denn ich denke nur an dich und daran, dass es dir hoffentlich gut geht.
Jetzt bist du also mein Schutzengel. Mein zweiter Schutzengel, der erste, ganz klar, ist meine Oma Martha. Ihr kanntet euch gar nicht, aber ich denke, ihr versteht euch ganz gut.
Wir hatten nie viel über den Tod geredet. Nur ganz am Ende (vor vier Wochen, und damals kam es mir natürlich nicht vor wie das Ende – es kam mir vor wie der Anfang) haben wir einmal darüber gesprochen. Ich hatte dir das Buch von deinem Freund Otmar Jenner vorgelesen, ein Buch über Zeugung, Schwangerschaft, Geburt. Otmar glaubt, dass sich die Seele nach dem Tod selbst überlegt, ob und wann sie zurückkommt. „Und, was meinste“, hab ich gefragt, „würdeste noch ’ne Runde machen?“ – „Logo, klar, ist doch gut hier“, hast du gesagt.
Früher hatte ich mir nie Gedanken über den Namen gemacht, den du in deiner Band hattest: Returner. Der, der wiederkommt. Aha, denke ich jetzt, Returner! Und dann denke ich, ja, komm doch wieder, wirklich, ich scheiß auf meinen Schutzengel. Ich will meinen Mann zurück.
Aber als ich am Montag wieder getanzt habe, das erste Mal, den sonntaz-Geburtstag auf dem Dach feierte, als ich tanzte mit Glitzer im Gesicht unter dem Mond, habe ich dich gehört. „Daumen hoch, Liebeste“, hast du gesagt, „du schaffst das.“ Wie gut, dass du da bist. JANA PETERSEN