Songs für die Karwoche

MEGACOMEBACKS Paul Simon war mit Art Garfunkel weltberühmt, Robbie Robertson mit Bob Dylan und The Band. Nun sind beide wieder da. Eine wundersame Wiederauferstehung

VON DETLEF DIEDERICHSEN

Dass es doch geht, dass man als Popmusiker in Würde alt werden kann, dass man sogar nicht nur ein cooler Typ bleiben kann, sondern im Rentenalter einem außergewöhnlichen Lebenswerk noch entscheidende neue Bausteine hinzufügen kann, dass man neue Perspektiven gewinnen, neue Techniken erlernen und neue Erkenntnisse in angemessener Form zum Ausdruck bringen kann, dass man in diesem Beruf also nicht zwangsläufig als gelifteter Zweitfrisuren-Clown enden muss – das haben in den letzten Jahren Leonard Cohen und Bob Dylan exemplarisch vorgeführt.

In diesem Licht haben es die neuen Veröffentlichungen von Paul Simon und Robbie Robertson nicht ganz leicht. Andererseits: Würde es sich nicht um die neuen Werke hoher Popikonen handeln, deren klassische Werke sich nach wie vor größter Wertschätzung erfreuen – kein Label der Welt hätte auch nur einen Sekundenbruchteil lang erwogen, „So Beautiful or So What“ oder „How To Become Clairvyoant“ in sein Programm aufzunehmen. Nicht unbedingt wegen mangelnder Qualität, aber bestimmt wegen fehlender „Verkaufsargumente“.

Simons Vorstellung von Humor

Paul Simons präzise gesungener, sauber gearbeiteter, freundlicher Sixtiesfolk, der sich in seinen verwegensten Momenten bestenfalls eine zarte Ironie oder eine gehauchte Andeutung von Schwermut gönnte, stand ja immer in krassem Gegensatz zu Dylans fiebrig und ohne Rücksicht auf Allgemeinverständlichkeit heruntergeröchelten rapsodischen Wortkaskaden. Der sanfte, auf freundliche, tröstende Weise traurige Wohlklang von Simons Stimme und die Harmonieseligkeit seiner Songs konnten etwas Sedierendes haben und überschritten nicht selten die Grenzen zum Kaminfeuer- und Sommerwiesenkitsch.

Selbst Melancholie war bei ihm nett. Dass hinter dem holden Sängerknabenzweiklang von Simon & Garfunkel eine höchst komplizierte, immer wieder in Finsternis und Aggression umschlagende Männerhassliebe steckte, war der Musik niemals anzuhören.

Mit „Graceland“, seinem erfolgreichsten Soloalbum, lieferte er sich Mitte der achtziger Jahre der neuen Idee einer „Weltmusik“ aus: Lass uns alle Kulturen zusammenschmeißen, um Verständnis füreinander zu wecken und miteinander auf Augenhöhe zu kommunizieren. Den Denkfehler dieser Idee führen Simons seitdem veröffentlichte Alben beispielhaft vor: Nicht nur dass Weltfrieden et cetera weniger von kulturellen Differenzen verhindert werden als von wirtschaftlichen Interessen; es führt auch zu keinerlei kulturellen Austausch, als New Yorker Popsänger einen mexikanischen Akkordeonspieler und einen westafrikanischen Gitarristen ins Studio zu bitten, auf dass sie zu fertigen Songs ein Paar Kostproben ihrer Kunstfertigkeit zum Besten geben.

Durch die vielen Begegnungen mit Musikern unterschiedlichsten Backgrounds änderte sich Simons Songwriting nicht das kleinste bisschen. Und ob im Hintergrund jemand leise auf einer Kora herumgniedelt oder eine von Trent Reznor am Computer zusammengefummelte Ambient-Athmo umhersirrt, ist nicht spielentscheidend. The song remains the same. Dieses Einsammeln und Ausstellen popunüblicher Klangbeigaben in homöopathischen Dosen entspricht der aus anderen Kunstgenres bekannten neokolonialen Praxis des Exotismus.

Andererseits ist es für den Gesamteindruck der Platte wenig wichtig. Die Beiträge der Musiker aus Indien und Kamerun, der Bluegrass-Band Doyle Lawson & Quicksilver oder das Sample des vor Äonen verstorbenen Mundharmonikaspielers Sonny Terry verschwinden auf nachrangigen Prioritätsebenen. Vorn stehen wie immer Simons mildes Leiden an den Weltläuften – zum Ausdruck gebracht durch seinen weichen, gedämpft melancholischen Gesang, der immer noch eher juvenil klingt und gar nicht so, als würde der Besitzer dieser Stimme in wenigen Monaten 70 – und seine Texte.

Die Texte. Es ist vielleicht Simons Vorstellung von Humor, kurz vor Ostern ein Album zu veröffentlichen, dessen erster Song „Getting Ready For Christmas Day“ heißt. Ansonsten passt „So Beautiful or So What“ jedoch bestens in die Karwoche, denn fast jeder Song behandelt das Thema Glauben oder streift es am Rande, gerne garniert mit einer Prise folgenloser Ironie. In „The Afterlife“ etwa stellt der verstorbene Protagonist fest, dass man auch zur Aufnahme in den Himmel zunächst ein Formular ausfüllen und sich dann an einer Schlange anstellen muss. Ganz wie hienieden. In „Love And Hard Times“ kommen der Herr und sein Sohn zu einem Blitzbesuch auf die Erde, nur um schnell wieder zu verschwinden, als sie merken, dass sich eine Massenpanik bildet, der Erde „Love And Hard Times“ hinterlassend. Das ist alles nett, aber nicht brillant, es ist aber auch nicht senil und es ist schon gar nicht berufsjugendlich. Es ist Paul Simon.

Robertsons blöde Gesangsidee

Und man wünscht sich, ein entsprechendes Urteil auch über „How To Become Clairvoyant“ sprechen zu können. Leider liegt der Fall hier anders. Robertson, kongenialer Dylan-Kollaborateur und Leader von The Band, überzeugte ja im ersten Teil seiner Karriere nicht zuletzt dadurch, dass er eigentlich immer ungewöhnliche, aber richtige Entscheidungen traf. Etwa die, seine eigenen Songs nicht selbst zu singen, sondern diese Aufgabe den anderen Kollegen bei The Band zu übertragen. Oder die, 1978 auszusteigen, um nicht von den Zwängen, den Ritualen und den Produktionsprozessen des Rock-’n’-Roll-Zirkus aufgefressen zu werden, nachdem er sich gut zehn Jahre lang als einer der kreativsten, poetischsten und souveränsten Songschreiber Amerikas profiliert hatte.

Er lebte nunmehr von den Tantiemen, die ihm als Autor von Songs wie „The Night They Drove Old Dixie Down“ oder „The Weight“ (und nicht zu vergessen: „Davy’s On The Road Again“, dem Monsterhit von Manfred Mann’s Earth Band) reichlich zuflossen, und schrieb ansonsten unauffällige Soundtracks für die Filme seines Kumpels Martin Scorsese. So hätte er sein Leben in Frieden und Ehren ausklingen lassen können.

Aber vielleicht gibt es ja einen bösen und missgünstigen Gott, der Robertson für seine Entscheidungsicherheit bestrafen wollte. Jedenfalls hatte er plötzlich nur noch blöde Ideen: doch wiederzukommen, mit einem Major-Soloalbum, obwohl er das doch eigentlich nicht gewollt hatte und obwohl er offensichtlich mit dem Popidiom nichts mehr anzufangen wusste. Dieses künstlerische Nichts mit Daniel-Lanois-Kitsch-Schichten tapezieren zu lassen. Kollaborationen mit U 2 und Peter Gabriel. Weitere unerträgliche Alben zwischen Schweinerock und Ethnokitsch. So dass man dagegen die etwas holprigen Reunion-Mühen seiner ihres Kreativzentrums beraubten Kollegen von The Band geradezu als Wohltat empfand.

Mittlerweile ist auch Robertson im neuen Rentenalter von 67 Jahren angekommen, und so würde man ihm sicher ein missglücktes Album wie „How To Become Clairvoyant“ verzeihen und es gnädig missachten, hätte es nicht diese rätselhaft unglückliche Zwischenphase gegeben.

Der Mann hatte ja anscheinend innerhalb weniger Jahre alles vergessen, wie und warum er Songs geschrieben hatte, Singen und Giarrespielen, kurz: wie Musik geht. Genau das, worin er vorher ein Maestro gewesen war. Dass einen Brian Wilson ein ähnliches Schicksal ereilt hat, mag man dessen Drogenkonsum und psychischer Konstitution zuschreiben. Aber der coole Robbie Robertson?

Diesmal suchte er sich für den Produzentenjob Marius de Vries aus, eine Allzweckwaffe, die sich mit Arbeiten für Madonna, Kylie Minogue und die Pet Shop Boys das Schwarzbrot verdiente und mit Alben von Björk und Rufus Wainwright für höhere Weihen empfahl.

Eher wohl ein Erfüllungsgehilfe, der sich anders als Daniel Lanois nicht selbst künstlerisch verwirklichen möchte. Ob er es war oder vielleicht nicht doch eher Robertson, der eine entscheidende Rolle in der Verwirklichung dieses Albums ausgerechnet Eric Clapton zuordnete, ist ungewiss.

Im Ergebnis entstand eine schwerfällig vor sich hin rumpelnde Altherrenrockplatte, die Gniedeln „mit Feeling“ als Killerapplikation zu verkaufen versucht. Clapton brachte mit seinem alten Kumpel Steve Winwood noch einen weiteren Helden vergangener Tage mit, der seinen letzten relevanten Ton irgendwann zu Beginn der siebziger Jahre gespielt hat. Dessen Beiträge bleiben eher unhörbar, Clapton aber darf singen, Solos spielen und Robertson beim Songwriting zur Hand gehen. Und eigentlich klingt das Endergebnis fast nach Deutschrock.

Das ist natürlich unendlich schade bei einem Mann, der einen maßgeblichen Anteil an Bob Dylans besten Aufnahmen hat, fast im Alleingang das „Americana“-Genre schuf und mit The Band jahrelang dominierte und definierte und der eine Zeit lang einen so wohlgeschliffenen Output hatte, dass es nach wie vor Bands gibt – Gomez, Midlake und so weiter –, die sonst was dafür gäben, diese Qualitäten je auch nur annähernd zu erreichen.

Paul Simon: So Beautiful or So What: Concord/Universal

Robbie Robertson: How To Become Clairvoyant: Macrobiotic Records/Universal