: Wahlkampf mit milden Gaben
Kaugummis, Erdbeeren und Telefonanrufe – Der Bremer Wahlkampf des Rechtspopulisten Joachim Siegerist treibt durchaus bizarre Blüten: So bekannt wie „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill vor sechs Jahren in Hamburg ist er aber noch lange nicht
von BENNO SCHIRRMEISTER
Werner-Joachim Bierbrauer hat ein Problem: Er muss unbedingt bekannter werden, in Bremen. Und beliebt. Zwar hat er sich in dieser Stadt in den 1970er Jahren einen zweifelhaften Ruhm erworben. Aber der ist längst verblasst. Das wird nicht reichen, am 13 Mai. Da tritt Joachim Siegerist – so nennt sich der Herr Bierbrauer in der Öffentlichkeit – mit seiner rechtspopulistischen Liste an. Und als Ziel nennt er 20 Prozent der Stimmen.
Zweifellos hat Bierbrauer-Siegerist dabei an Ronald Barnabas Schills Hamburger Erfolg gedacht. Aber als der 2001 zur Wahl antrat, war er als „Richter Gnadenlos“ in ganz Hamburg ein Begriff, in gewissen Kreisen populär, er hatte Einladungen als Studiogast bei RTL und war ein Held der Springer-Presse. Die transportierte das Image: Das ist einer, der tut was.
Siegerist hat all’ das nicht. Und dass allein der Slogan „sauber, sicher, schuldenfrei“, mit dem die Formation antritt, Massen mobilisiert, wird er selbst auch nicht glauben. Aber Siegerist hat eine klare Zielgruppe: Frustrierte und Benachteiligte. Nur: Wie kommt man an deren Adresse?
Zum Beispiel per Telefon. Dienstag gegen 17 Uhr, in einer Wohnung im Bremer Stadtteil Viertel. Es klingelt. Hörer abnehmen und schon geht’s los: „Halihallo“, meldet sich eine Stimme, „mein Name ist Joachim Siegerist. Vielleicht kennen Sie mich ja: Ich war Reporter beim Weser-Kurier und bei der Hörzu.“
Zu antworten erweist ich als zwecklos: Die bizarre Ansage (siehe Kasten) kommt vom Band, und wird im Folgenden darüber informieren, dass Siegerist die karitative Stiftung Reiskorn gegründet hat, „zusammen mit Max Schmeling“. Der ist seit zwei Jahren tot. Schließlich bittet sie alle, die hilfsbedürftige Deutsche kennen um Rückruf. „Meine Nummer steht im Telefonbuch.“
Einen Zusammenhang mit dem anlaufenden Wahlkampf weist Siegerist weit von sich: „In keinster Weise“, sagt er, habe die Telefonaktion damit zu tun, „in keinster Weise.“ Und schließlich sei es besser, die Menschen zu beschenken als sie zu bestehlen.
Das hat er auch in Lettland gesagt – als Reaktion auf den Spott der Presse. Den hatte der deutsche Kandidat für das lettische Parlament durch eine Gratisbananen-Aktion auf in Riga auf sich gezogen. Antreten durfte er, weil er die Staatsbürgerschaft der Baltenrepublik kurz zuvor erworben hatte – mit Verweis auf seinen lettischen Vater. Die Bananen-Aktion war kein Einzelfall: „Der Polit-Import gibt sich gern als selbstloser Helfer in der Not“ hatte der Spiegel Monate vor der Wahl geschildert: Die Aktion Reiskorn gründete damals eine Suppenküche in Riga. Mit der nationalistischen „Bewegung für die Nationale Unabhängigkeit“ war er 1993 aus dem Stand auf 13,4 Prozent gekommen.
Bei den Neuwahlen, zwei Jahre später, dasselbe Spiel: Vermehrte Mildtätigkeit, Joahims Zigeristis Formation „Pro Lettland“ erhielt 15,06 Prozent und der Abenteurer konnte sich als Sieger feiern. Nach der Wahl sandte er einen Rundbrief an die Reiskorn-Unterstützer, den der Spiegel genüsslich zitiert: „Ich möchte Ihnen ganz herzlich danke sagen“, schrieb er, „für Ihre Hilfe zur Wahl.“
Das allein wird für 20 Prozent nicht reichen, zumal die Siegerist-Nummer im Bremer Telefonbuch Anrufe ohnehin nur mit dem schrillen Pfeifen eines Fax-Gerätes quittiert. Aber: Als ehemaliger Bild-Bremen-Chef verfügt er über intakte Netzwerke. Und der 60-Jährige weiß, wie er die Leute abholt, wo sie sind: Auf den Wochenmärkten etwa ist zu beobachten, wie „Wahlkampf-Feuerwehrleute“ – so nennt er seine Helfer – SeniorInnen auf Sitzbänken mit Erdbeeren anfüttern und ins Gespräch verwickeln.
Programmatisch hat die Gruppierung zwar wenig anzubieten. So ist als Weg in die Schuldenfreiheit nichts anderes eingefallen, als das Versprechen, „die Möglichkeit der Landesinsolvenz“ zu prüfen. Dafür aber bedient man sich plastischer Themen, mit denen jedeR etwas anfangen kann. So hat man in der Bremerhavener Nordseezeitung kürzlich eine ganzseitige Anzeige geschaltet. In der wurde den Kaugummis auf den Gehwegen der Krieg erklärt.
Man sollte zwar meinen, dass die Stadt mit der höchsten Sozialhilfedichte Westdeutschlands andere Probleme hat, als die Verunreinigung der Bürgersteige durch Kaugummis. Siegerist hingegen meint: „Das beschäftigt die Leute.“ Und das schlimmste ist: Wahrscheinlich hat er recht.