Aus der Ferne plötzlich nah

Wenn die Israelis die Araber spielen und die schwarzen Inselbewohnerinnen die weißen Sextouristinnen: Heute beginnt an der Schaubühne das Festival F.I.N.D., das neue Dramatik dicht bündelt und ein großes Fenster aufstößt in andere Theaterwelten

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Abkürzung F.I.N.D. steht für „Festival Internationaler Neuer Dramatik“. Zu dem lädt die Schaubühne jetzt bis Sonntag zum siebten Mal ein. Das Bild der Buchstaben erinnert an die Worte „finden“ und „Feind“ – und beides sind passende Assoziationen. Denn zum einen erweist sich die Schaubühne mit diesem Festival seit Jahren als ein guter „Finder“, der dank intensiver Netzwerkarbeit zu Dramaturgen und Regisseuren die Nase ziemlich weit vorn hat beim Aufspüren neuer Themen für das Theater. Zum anderen aber sind gerade dieses Jahr viele Stücke dabei, die zur Auseinandersetzung mit Feindbildern herausfordern. Dazu gehören vor allem „Trade“ von Debbie Tucker Green über Sextourismus in der Karibik, das als szenische Lesung erstmalig in Deutschland auf die Bühne kommt, und „Plonter“, ein Stück der jungen israelischen Autorin Yael Ronen.

Debbie Tucker Green aus London ist schon in zweiter Runde bei F.I.N.D. dabei. Letztes Jahr erst stellte sie hier „Stoning Mary“ vor, das Ende April in der Regie von Benedict Andrews seine deutschsprachige Erstaufführung an der Schaubühne erleben wird. In dem sprachlich stark rhythmisierten Stück verzahnen sich Geschichten von einem Überlebenskampf, der jede Form von Mitgefühl und Solidarität hart auf die Probe stellt: Ein Aids-krankes Paar verliert durch die Krankheit seine Liebe, eine junge Frau wird zur Steinigung verurteilt, weil sie einen Kindersoldaten ermordete, um ihre Eltern zu retten. Die Storys verweisen auf einen Schauplatz in afrikanischen Bürgerkriegsländern – und doch soll das Stück nach ausdrücklicher Anweisung der Autorin immer in dem Land spielen, in dem es auch aufgeführt wird, mit immer weißen Schauspielern als Protagonisten.

Solch eine Auseinandersetzung mit der postkolonialen Gegenwart ist noch selten Stoff von Theaterstücken und wird von Debbie Tucker Green nicht nur mit einem außerordentlich spannenden Plot, sondern auch mit einer atemlosen Sprache versehen. Dabei ist Tucker Green, anders als viele Romane und Filme, die derzeit Afrika als gefühlsteigernde Kulisse nutzen, fern von Exotisierung und Sentimentalisierung. Die englische Autorin jamaikanischer Herkunft hat in London unter anderem als DJ und als Inspizientin bei Sarah-Kane-Stücken am Royal Court Theatre gearbeitet, bevor sie mit eigenen Stücken bekannt wurde.

Beim F.I.N.D.-Festival in diesem Jahr stellt sie ihr Stück „Trade“ vor, das sie diesmal programmatisch von drei schwarzen Schauspielerinnen spielen lässt. In schnell aufeinanderfolgenden Dialogfragmenten müssen die drei ständig zwischen verschiedenen Rollen wechseln: So sind sie „die Einheimischen“ einer Ferieninsel in der Karibik, Touristinnen auf der Suche nach Sex und Liebe – und zu guter Letzt auch noch die Liebhaber, über die sich die einen mit den anderen streiten. Dabei geht es vielfach um Eifersucht, Ausbeutung und die Verspottung von Bedürftigkeit, Alter und Einsamkeit in der Welt, aus der die Touristinnen fliehen wollen. Der Text funktioniert hier wie eine unendliche Serie kleiner Nadelstiche, eine Beschau dauerhafter Projektionen, eine ständige Abwehr des eigenen Bildes im Spiegel der anderen. Zugleich aber durchbricht die Konstruktion – die Besetzung der Kontrahentinnen durch die gleichen Schauspielerinnen – jede Form von geschlossener Identität und einheitlicher Zuweisung. Das Stück vollführt auf kurzen Strecken so viele Wendungen wie ein Chamäleon, das ständig die Farbe wechselt, um nicht von seinen Feinden entdeckt und gefressen zu werden.

Darum, die Eindeutigkeit eines politischen Kontexts zu unterlaufen, um Klischees zu entkommen, geht es auch dem Stück „Plonter“ („Verworren“). Es entstand, wie auch das zweite Stück, das Yael Ronen aus Israel nach Berlin mitbringt („Reiseführer in ein gutes Leben“), am Cameri-Theater in Tel Aviv aus Improvisationen des israelisch-arabischen Teams. Es ist ein Stück über Vorurteile, das nicht selten parodistische Züge annimmt. Das passiert immer dann, wenn zur Schau gestellte Vorurteilslosigkeit als schickster Distinktionsgewinn entlarvt wird. Ein reiches intellektuelles israelisches Paar ist da zum Beispiel mächtig stolz darauf, einen Araber zum Abendessen eingeladen zu haben. Dabei entsteht das Bild eines Spiels, dessen Regeln immer komplizierter und unmöglicher zu befolgen werden. Und neben den israelisch-palästinensischen Konflikten, die von der Politik dauernd im nationalistischen Sinn instrumentalisiert werden, werden im gleichen Zuge jede Menge andere Probleme von Einwanderergruppen in Israel sichtbar, die aber vom Hauptkonflikt brüsk beiseite geschoben werden.

„Wenn in ‚Plonter‘ jüdische Schauspieler arabische Selbstmordattentäter spielen und arabische Schauspieler Juden, dann ist das auch eine Form von Therapie“, glaubt Dan Golan, der als Leiter der Kulturabteilung der israelischen Botschaft das Programm von F.I.N.D. mit vorstellte. Dieses Jahr bilden fünf Stücke aus Israel einen Schwerpunkt des Festivals. In keinem anderen Land wird so viel zeitgenössische Dramatik gespielt. Trotzdem weiß man nicht viel über die Produktionen, weil in der sprachgebundenen Kunst des Theaters der internationale Austausch noch immer selten ist. F.I.N.D. leistet da wirklich Pionierarbeit: Die Stücke, die für das Festival meist auch erstmals übersetzt werden, öffnen tatsächlich Fenster in fern gelegene Theaterwelten.