: Verspätete Sorge um Siemens
Die Verhaftung eines Konzernvorstands ließ die Börse zunächst kalt. Gestern reagierte sie umso heftiger. Feldmayer soll 15,5 Millionen Euro veruntreut haben
BERLIN taz ■ Erst mit einem Tag Verspätung hat gestern die Börse auf die Verhaftung des Siemens-Vorstands Johannes Feldmayer reagiert. Während die Aktie sich am Dienstag trotz der ungeklärten Millionenzahlungen kaum bewegt hatte, rauschte sie gestern sofort nach Handelsbeginn in den Keller. Gegen 15 Uhr war sie mit über 2 Prozent Minus Schlusslicht unter den 30 DAX-Werten.
Offenbar dämmerte den Fondsmanagern und Anlegern erst in der Nacht, dass die neuen Nachrichten Siemens-Chef Klaus Kleinfeld immer stärker in die Bredouille bringen. „Die Einschläge kommen näher“, sagte Reinhild Keitel, Sprecherin der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK), gestern der taz. Sie rechnet damit, dass die Verhaftung Feldmayers nicht die letzte Nachricht dieser Art aus dem Konzern ist. „Da wird noch mehr herauskommen.“
Am Dienstag war der Manager, der auch Mitglied des Siemens-Zentralvorstandes ist, wegen ungeklärter Zahlungen von 15,5 Millionen Euro an den Vorsitzenden der unabhängigen Gewerkschaft AUB festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft Feldmayer Untreue vor und will ihn zunächst in Haft behalten. In Nürnberg ermittelt die Sonderkommission „Amigo“ von Polizei und Steuerfahndung in dem Fall. Feldmayer selbst wurde gestern von seinen Aufgaben als Vorstand entbunden.
Die IG Metall geht davon aus, dass Feldmayer versucht hat, die Betriebsratsarbeit bei Siemens über die AUB unzulässig und gesetzwidrig zu beeinflussen, und prüft deshalb ebenfalls eine Strafanzeige. Für den deutschen Vorsitzenden der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, Hansjörg Elshorst, sind die Vorwürfe an Siemens tiefgreifender als beim VW-Skandal um gekaufte Betriebsräte. Bei VW sei es nur um einzelne Individuen gegangen; träfen die Vorwürfe gegen Siemens jedoch zu, habe sich „ein so großes Unternehmen daran gewagt, eine alternative Gewerkschaft aufzubauen“, kritisierte Elsholst.
Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertbesitz, hält die Probleme bei Siemens mit Blick auf den Unternehmenswert an der Börse ebenfalls für schwerwiegend. „Siemens läuft nun Gefahr, zum Synonym für Korruption zu werden“, sagte Kurz der taz. Das beeinträchtige die Geschäftsaussichten stärker als ein ähnlicher Gewerkschaftsskandal die Volkswagen-Aktien. Während die Wolfsburger ihr Produkt direkt an den Privatkunden verkaufen, erhalte Siemens seine Aufträge für neue Kraftwerke oder Infrastrukturprojekte häufig von ausländischen Regierungen. Und die dürften zunehmend skeptischer werden. Offenbar habe es auch erst der Einschätzung ausländischer Kollegen bedurft, damit den hiesigen Fondsmanagern diese Gefahr bewusst werde, weshalb die Börse erst verspätet reagiert habe, meint Kurz.
Auffällig sei, dass die Informationen über verdächtige Finanzströme erneut nicht aus dem Unternehmen kamen, sagt Keitel. Dabei hatte sich Siemens erst Ende 2006 zur Aufklärung der Schmiergeldvorwürfe in der Com-Sparte ein hochrangiges Team rund um den Korruptionsexperten und Mitbegründer von Transparency International, Michael Hershman, ins Haus geholt. „Man fragt sich schon, wofür diese Leute bezahlt werden“, sagt Keitel. STEPHAN KOSCH