LESERINNENBRIEFE
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Mehr davon!

■ betr.: „Wer pflegt die Fülle selten gehörter Stimmen?“, taz vom 5. 9. 14

Na, wer? Die taz! Begeistert vom Titel bitte ich gleich: mehr davon! Wie das trifft: diese wenigen klaren Worte in all dem Geschwalle von Wörtern, das uns jeden Tag überflutet.

Also: mehr Gedichte in die taz! Einmal, vor Jahren, gab es eine Ausgabe zum Geburtstag von Peter Rühmkorf mit Gedichten von ihm, auf jeder Seite eins. Das ginge doch mal wieder, Geburtstage gibt es doch immer. Und auch wenn einer schon tot ist: vielleicht ein Gedicht von Robert Gernhardt auf jeder Seite? Neulich (am 13. August) hat mich auch schon eine Besprechung in der taz zu einer wunderbaren Neuentdeckung geführt: Silke Scheuermann, Skizzen vom Gras. Danke dafür! Und für Eva Kinskys „Etwas licht liegt auf den dingen …“ GRITTA LANGE, Northeim

Offene Missachtung

■ betr.: „AKW-Betreiber auf Konfrontationskurs“, taz vom 6. 9. 14

Diese offene Missachtung von gesetzlichen Regelungen können als Folge der „Politik-Geschenke“ in der Vergangenheit (beispielsweise „Umweltplakette“ > Autoindustrie, Schweinegrippe > Pharmaindustrie, „Finanzkrise“ > Banken und Spekulanten) an global a-gierende Wirtschaftskonzerne betrachtet werden, der Umverteilung von privaten Risiken auf die von den Gewinnen ausgeschlossene Gesellschaft der Steuerzahler, und ebenso als Ausblick auf jenes, was zukünftig „blüht“, wenn diese diversen „Freihandelsabkommen“ zustande kommen, die für ein Wirtschaften der Großkonzerne jenseits der Rechtsstaatlichkeit erarbeitet werden.

HENDRIK FLÖTING, Berlin

„Krieg und Frieden“

■ betr.: „Wie wir Firas verloren haben“, taz vom 6. 9. 14

Bemerkenswert finde ich vor allem den ersten Teil, der eine gewisse Naivität schildert, die durch den weltweiten Zugang zu Informationen nur gefördert wird, denn sie werden banalisiert: ein Like für einen geglückten Sprung beim Snowboarden oder für erfolgreiches Gemetzel. Der Gedanke, dass für junge Männer die kriegerischen Aktivitäten auch viel Spaß bringen, ist bisher vielleicht unterbelichtet und wird von Ihnen ebenfalls hervorgehoben. Übrigens lesen wir dazu auch einiges in Tolstois „Krieg und Frieden“, ich hatte mir den Roman kürzlich wieder vorgenommen. Auch Ihre Ausführungen über die Opposition gegen die Eltern sind in diesem Zusammenhang sehr erhellend. BEATE THILL, Freiburg

Wer sind die Bewohner?

■ betr.: „Hier muss eine Grenze her“, taz vom 4. 9. 14

„Die Bewohner dieser Stadt haben Angst. Davor, dass sie noch kleiner wird … dass leer stehende Häuser … von Asylbewerbern besiedelt werden … Die Polen brechen ihre Datschen auf, sagen sie, und stehlen ihre Autos.“

Wer sind die Bewohner dieser Stadt? Die Menschen, die die Autorin in ihrem Artikel zu Wort kommen lässt, sind weiß und rassistisch – beides benennt Morasch nicht. Sie lässt stattdessen deren rassistische Aussagen wirken und unterstützt sie somit. Dass in der gleichen Stadt Menschen in einem industrialisierten Lagerkomplex leben müssen, dass diese Menschen nicht besiedeln, sondern zu dem dortigen Leben gezwungen werden, weggesperrt und kriminalisiert werden, schreibt sie nicht.

Mit dem „In der Tat werden nirgendwo in Deutschland mehr Autos gestohlen als in der Region Frankfurt (Oder). Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen steigt von Jahr zu Jahr“, versucht die Journalistin auf vermeintlich wahrhaftige statistische Daten zurückzugreifen, die die Aussagen ihrer Interviewpartner bekräftigen sollen. Sie hält es hierbei nicht einmal für nötig anzugeben, woher sie ihre Daten bezieht beziehungsweise dieselbigen zu hinterfragen.

Racial profiling gibt es in ihrer Berichterstattung und ihrer Analyse nicht. Ein kapitalistisch-rassistisches System, das die einen privilegiert (und deren Handlungen legitimiert) und die anderen zu Anderen marginalisiert auch nicht. Des Weiteren liefert sie keine weitere Recherche über die Einbettung der Gründer der Bürgerwehr in neofaschistische Strukturen. Die aktuelle Präsenz rassistischer und nationalistischer Wahlplakate von AfD und NPD in Eisenhüttenstadt verunglimpft Morasch als „provokante Sprüche“. Zudem dethematisiert sie den Law-and-order-Schulterschluss zwischen rassistischen Bürgern, einer institutionell-rassistischen Polizei und einer ignoranten Stadtverwaltung als sogenannte Sicherheitspartnerschaft. Es ist die gleiche Stadtverwaltung mit der sogenannten linken Bürgermeisterin Dagmar Püschel, die dem Stop-Deportation-Camp unzählige Steine in den Protestweg legt. Es ist die gleiche Institution Polizei, die jeden Tag aufs Neue das Protestcamp und dessen Teilnehmer_innen, darunter auch die Bewohner_innen des Isolationslagers, schikaniert. Es sind die gleichen Bürger, die unsolidarisch schimpfend am Kundgebungsort vorbeigehen. Es ist die gleiche Autorin – eingebettet in den hiesigen medialen Kontext –, die nicht über das vor wenigen Tagen beendete Protestcamp und den kontinuierlichen Widerstand Betroffener und solidarischer Menschen gegen dieses rassistische System berichtet. Links zu differenzierterer Berichterstattung: www.stopdeportationcamp.org/ und recherchegruppe.wordpress.com/2014/05/26/ist-wohl-ganz-normal-dass-fremdenhass-entsteht/

VALENTINA DISTLER, Neumarkt