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Archiv-Artikel

Steinmeier geht in die Offensive

Vor dem BND-Ausschuss verteidigt der Außenminister unerwartet deutlich das Vorgehen der rot-grünen Regierung im Fall Murat Kurnaz. Die Einreisesperre gegen den Guantánamo-Häftling sei „notwendig“ und „keine unvertretbare Härte“ gewesen

AUS BERLIN JENS KÖNIG UND LUKAS WALLRAFF

Im Literaturbetrieb geht ja schon seit langem das Gerücht herum, Rainald Goetz schreibe an einem großen Roman über Politik. Wann immer der Pop-Literat irgendwo im Bundestag auftaucht, findet das Gerücht neue Nahrung. Am Mittwoch sitzt Goetz auf der Tribüne des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses in Berlin. Unten im Saal erlebt der BND-Untersuchungsausschuss im Fall Murat Kurnaz gerade seinen ultimativen Höhepunkt: Frank-Walter Steinmeier, die Schlüsselfigur der Affäre, gibt seine Sicht der Dinge zum Besten.

Was Goetz über diesen Auftritt wohl schreiben würde? Rechtfertigungsversuch eines seelenlosen Technokraten? Souveräner Auftritt eines mittlerweile gewieften Politikers? Lobeshymnen sollte man von einem Literaten nicht erwarten – aber eine Schmähschrift dürfte Goetz auch nicht so leicht fallen. Steinmeier hat einen starken Auftritt.

Akkurat vorbereitet schildert er in seiner 45-minütigen Eingangsbemerkung die großen Linien der deutschen Antiterrorpolitik nach dem Attentat vom 11. September 2001 und die vielen Details des Falles Murat Kurnaz, jenes jungen Bremers, der zu Unrecht viereinhalb Jahre in Guantánamo saß. Steinmeiers Fazit: Die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung für die Sicherheit der Menschen in Deutschland habe die im Herbst 2002 verhängte Einreisesperre gegen Kurnaz gerechtfertigt. Sie sei nicht nur „möglich“, sondern sogar „notwendig“ gewesen. Die Einschätzung der Sicherheitsbehörden, Kurnaz sei ein „Gefährder“, sei „damals schlüssig und plausibel“ gewesen.

Der heutige Außenminister und frühere Chef des Bundeskanzleramtes nennt als Beleg viele bekannte Indizien: die überstürzte Abreise von Kurnaz nach Pakistan im Oktober 2001, seine Indoktrination in einer Bremer Moschee, die terroristischen Kontakte seines noch vor der Abreise inhaftierten Begleiters. Die näheren Umstände der Pakistan-Reise, die schließlich auch zu Kurnaz’ Verhaftung führte, bezeichnet Steinmeier als „bis heute nicht geklärt“. Gleichwohl habe sich die Bundesregierung mehrfach für dessen Freilassung bei der US-Regierung eingesetzt. „Für uns ging es nie um die Frage ‚Deutschland oder Guantánamo‘, sondern immer nur darum, in welches Land seine mögliche Freilassung erfolgen sollte.“

Die Regierung plädierte dafür, dass Kurnaz in die Türkei ausreisen sollte. „Ich kann darin keine unvertretbare Härte erkennen“, sagt Steinmeier rückblickend. Die Türkei sei für den Bremer kein Niemandsland gewesen, sondern das Land seiner Staatsbürgerschaft. Dass es nie zu einer Freilassung von Kurnaz gekommen sei, hat in Steinmeiers Augen einen einfachen Grund: Die Amerikaner hätten ihn nicht freilassen wollen, weder im Herbst 2002 noch in den drei Jahren danach. Es habe niemals ein Angebot der US-Seite gegeben, „weder ein offizielles noch ein inoffizielles“. Es habe lediglich im Herbst 2002 „Signale“ der Amerikaner gegeben, eine größere Gruppe von Gefangenen aus Guantánamo freizulassen.

Warum Angela Merkel als Kanzlerin im August 2006 gelang, woran die rot-grünen Großpolitiker Schröder und Fischer drei Jahre lang scheiterten, nämlich Kurnaz freizubekommen? Steinmeier zuckt nicht einmal bei der Frage. Das habe nur einen einzigen Grund: die veränderte Haltung der USA zu Guantánamo. Die von Senator McCain im Herbst 2005 forcierte Antifolterdebatte bezeichnet Steinmeier, wie schon zuvor Joschka Fischer, als „politische Wasserscheide“. Danach habe die US-Regierung Interesse gehabt, so viele Gefangene wie möglich aus dem Lager in Guantánamo freizulassen. Der Weg für Kurnaz nach Deutschland war frei.

Und die Gefährdung, die von Kurnaz angeblich ausging? Die galt 2006 nicht mehr? Da kommt für einen Moment der Technokrat in Steinmeier zum Vorschein. „Das Auswärtige Amt und ich hatten Verständnis dafür, dass nach vierjähriger Haft aus humanitären Gründen der Einreise nach Deutschland zugestimmt werden musste.“

Vor Steinmeier war bereits Otto Schily aufgetreten – und der frühere Innenminister tat alles, was er nur tun konnte, um dem Außenminister schon einmal vorab zu helfen. Auch Schily verteidigte die Einreisesperre gegen Kurnaz. Nicht Steinmeier, sondern er selbst trage die politische Verantwortung für den Umgang der deutschen Behörden mit dem Guantánamo-Häftling. „Das nehme ich auf meine Kappe“, erklärte der 74-jährige Ruheständler. Was das konkret heiße, wollten die Ausschussmitglieder wissen. „Dass alles korrekt abgelaufen ist“, antwortete Schily.