: Ermutigung für junge Paare
Wegweisende Entscheidung des Hamburger Landessozialgerichtes: Paare, die zusammenziehen, gelten erst nach einem Jahr in der gemeinsamen Wohnung als Bedarfsgemeinschaft nach Hartz IV
VON ELKE SPANNER
Mit dem Freund oder der Freundin in einer Wohnung zusammenzuziehen, war in Hamburg in der Vergangenheit nicht nur ein gewagter, sondern oftmals auch ein teurer Schritt. War einer der beiden ohne Job, verwies die Hartz-IV-Behörde (Arge) ihn zur Sicherung des Lebensunterhaltes an den Partner weiter, soweit dieser über Einkommen verfügt. Wer als Paar zusammenlebt, müsse auch finanziell füreinander einstehen, beschied die Arge pauschal.
Das Landessozialgericht aber hat nun entschieden, dass es so ohne Weiteres nicht geht: Wenn ein Paar noch kein ganzes Jahr zusammenwohnt, befand das Gericht, darf das Einkommen des Partners regelmäßig nicht angerechnet werden.
Im konkreten Fall hatte eine junge Frau geklagt, die im November mit ihrem Freund zusammengezogen war. Erst im Frühjahr hatten sich die beiden übers Internet kennengelernt. Schon nach einem Sommer entschieden sie, den Versuch zu wagen. „Zur Probe“, denn ihnen war klar, dass dieser Schritt nach so kurzer Bekanntschaft ein mutiger ist.
Ihr Freund verfügt über ein regelmäßiges Einkommen. Die 26-jährige Frau aber absolviert eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Für die Dauer ihrer Ausbildung ist sie auf Unterstützung zum Lebensunterhalt angewiesen. Die Arbeitsagentur beschied, diese solle sie sich bei ihrem Partner holen. Da beide den Mietvertrag unterzeichneten, hätten sie eine „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“ begründet, in der sie finanziell füreinander zu sorgen hätten. Das fanden die beiden nicht und zogen mit Erfolg vor Gericht.
Denn das Landessozialgericht gab ihnen in der Eilentscheidung recht. Im Sozialgesetzbuch sei festgehalten, dass eine eheähnliche Lebensgemeinschaft mit entsprechender Verantwortlichkeit füreinander dann vermutet werden könne, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben. Über die Zeit davor sagt das Gesetz hingegen nichts. Laut Sozialgerichtssprecher Gundolf Wagner habe die Arge deshalb in solchen Fällen pauschal verlangt, dass gemeinsame Kasse zu machen hat, wer in einer Wohnung zusammenlebt – eine hohe Hürde gerade für junge Menschen. Es oblag ihnen selbst, den Nachweis zu erbringen, wenn sie mehr als die Wohnung zunächst nicht teilen wollten.
Nun aber ist es die Arge, die Argumente liefern muss, wenn sie das Einkommen des einen dem anderen beim Arbeitslosengeld II anrechnen will. „Die Arge wird sich nun ziemlich anstrengen müssen, wenn sie unterhalb eines Jahres eine Einstehensgemeinschaft annehmen will“, sagt Gerichtssprecher Wagner. „Dafür müsste sie viel Material beibringen.“
Die Hartz-IV-Behörde selbst vermag noch nicht zu sagen, wie sich die Entscheidung auf ihre Praxis auswirken wird. Die Frage, ob ein Paar eine „eheähnliche Lebensgemeinschaft“ ist, sei immer individuell zu prüfen, sagte Sprecher Renee Tollkühn. Wenn das Gericht nun entschieden habe, dass von einer gegenseitigen Verantwortlichkeit im ersten Jahr des Zusammenlebens nicht auszugehen sei, „ist das ein Hinweis, den wir nutzen können“.