Jetzt wird’s pervers

Särge statt Kinderwagen, Pistolen statt … na ja, Bananen vielleicht? Die Michael Stich Stiftung will mit ihrer Kampagne gegen Aids erst mal eins: schocken! Das gelingt ihr. Aber was wird das bringen?

von PATRICK HEMMINGER

Ohne Sarg wäre es ein schönes Bild. Ist es aber nicht. Eine junge Frau sitzt auf einer Parkbank, sie ist schön, das Wetter ist schön und der Kinderwagen, den sie schaukelt, ein rollender Sarg. Daneben steht: „Ganz die Mama. HIV-positiv.“ Schock.

Oder: Eine fast nackte Frau kniet vor einem nackten Mann. Im Mund hat sie nicht, was man vermuten dürfte, sondern eine Pistole. Daneben steht: „Zwischen Leben und Tod liegen nur 0,003 mm Latex.“ Noch mal Schock.

Genau das ist das Ziel der neuen Plakatkampagne der Michael Stich Stiftung, die sich einsetzt für HIV-positive und an Aids erkrankte Kinder. „Das Thema Aids ist aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden“, sagt Linda von Neree, eine Mitarbeiterin der Stiftung. „Unsere Kampagne soll aufrütteln, konfrontieren und informieren.“ Nacktheit bringt immer Quote und Auflage, vor allem dann, wenn sie garniert ist mit einem Schuss guten Gewissens, weil das alles doch einem noblen Zweck dient.

Es steht dabei außer Zweifel, dass die Stiftung von Stich Gutes tut. Der Extennisprofi investiert Zeit und Privatvermögen in den Kampf gegen Aids und in die Hilfe für infizierte Kinder. Ob mit der Schockkampagne der gewünschte Effekt erreicht wird, darf aber bezweifelt werden.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist Aids lange nicht mehr so präsent wie noch vor wenigen Jahren. In Deutschland leben rund 56.000 Menschen mit HIV. Seit dem Jahr 2000 steigt die Zahl der Neuinfektionen, im vergangenen Jahr waren es rund 2.700. Marita Völker-Albert, Sprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erklärt das damit, dass nach der Jahrtausendwende andere Themen Aids aus den Medien und damit der Öffentlichkeit gedrängt haben.

Deshalb begann die BZgA im vergangenen Jahr mit einer neuen „Gib Aids keine Chance“-Kampagne. Und die sieht ganz anders aus als die der Stich-Stiftung. Zum Beispiel so: zwei Bananen, eine gammelige, eine frische. Über die frische ist ein Kondom gezogen, darüber steht: „Keine faulen Ausreden!“

„Wir wollen die Gefahr realistisch darstellen, ohne sie zu dramatisieren“, sagt Völker-Albert. Die jährlich erstellte Studie „Aids im öffentlichen Bewusstsein“ zeige den Erfolg der BZgA. Zudem liege Deutschland bei den Neuinfektionen hinter den skandinavischen Ländern auf dem vierten Platz.

Ohne Zweifel hat die BZgA mit ihrer Arbeit dazu beigetragen, und das ohne Bilder, die schocken. Offenbar aus gutem Grund. Denn Tod- und Schockeffekte seien nicht erfolgreich, sagt Völker-Albert. Die Reaktion auf solche Anzeigen oder Plakate sei kurzfristig. „Ein Schock ist nicht glaubwürdig“, sagt die Sprecherin. „Wir wollen die Menschen in Ruhe ansprechen und damit erreichen, dass sie die Information in Ruhe verarbeiten.“

Von Neree sieht die Kampagnen der BZgA hingegen professionell anders.

„Sie sind vielleicht nett, aber man kann damit nicht wirklich was verbinden. Wenn man die in einer Zeitschrift sieht, denkt man: ‚Ach ja, schön‘, und blättert weiter“, sagt sie. Klar seien ihre Motive heftig, aber sie hätten eingeschlagen wie eine Bombe. Das sei die Wirkung, die man gewollt habe.

Der Kampf gegen Aids braucht Aufmerksamkeit, und sicher spielen die Medien dabei eine wichtige Rolle. Und natürlich sind die mit Bildern von einem Pistolenblowjob leichter zu erreichen als mit Bananen. Dennoch bleibt die Frage, ob die Stich-Stiftung damit ihre noblen Ziele erreicht oder ob sie nur für kurze Zeit den Boulevard bedient. Zu wünschen wäre ihr das Erste.