: Monstermäßig megabusy
PREMIERE In „Never Forever“ führt Falk Richter an der Schaubühne seine Analyse der überforderten, ausgebrannten Gesellschaft fort – diesmal allerdings garniert er sie mit einem Schuss Selbstironie
VON BARBARA BEHRENDT
Seinem Grundthema ist Falk Richter treu geblieben, das sagt schon der Titel: „Never Forever“. Netzgestresste, egoman beziehungsgestörte Großstadtnomaden fliehen vor zu großer Nähe, vor dem „Für immer“ mit einem Menschen – und sehnen sich im Tiefsten nach Geborgenheit und Lebenssinn.
Auf schwarzer Bühne stehen acht Narzissten einsam in ihren Behausungen – sterilen Parzellen ohne Wände, begrenzt von hohen Stahlträgern. Hier ein Klavier, dort Kartons, irgendwo ein paar Klappstühle. Zu Technobeats von Malte Beckenbach winden sich die Spieler in heftigen Tänzen und autoaggressiven Ausbrüchen, eine Frau wechselt manisch ihre Outfits, eine andere drischt mit einem Hammer auf Möbel ein, ein Mann klatscht sich mit Wucht gegen die Wand.
Keine ausformulierten Rollen, nur knapp umrissene Figuren. Nacheinander tragen Tänzer und Schauspieler ihre Texte vor. Da ist ein frustrierter Professor, der seine Studenten, die nur an den Smartphones hängen, über neoliberale Markttechniken aufklären will – vergebens. Eine Frau geht online auf Partnerjagd – doch beim persönlichen Treffen verstummt sie, weil sie ihre Worte nicht noch einmal lesen und korrigieren kann. Wie besessen verfolgt ein Mann die Onlineaktivitäten einer Frau – und verzweifelt, weil er sich keinen Reim darauf machen kann.
Ging es Falk Richter in seinen Arbeiten mit der Choreografin Anouk van Dijk („Trust“, „Protect me“) um marktökonomische Dogmen und ihre Nebenwirkungen auf menschliche Beziehungsgeflechte, versucht er in „Never Forever“ eine Diagnose der Digital Natives. Erstmals arbeitet der Autor und Regisseur dabei mit der Berliner Tanzcompagnie „Total Brutal“ des israelischen Choreografen Nir de Volff zusammen. Härter, mechanischer sind die Soli und Paartänze, weniger fließend als bei van Dijk, aber auch mit größeren Gesten, expressionistisch. Manchmal verwandeln sich die Figuren in grotesken Formationen zu steifgliedrigen Albtraumwesen, manchmal gleiten sie – das rutscht dann ins Kitschige – durch wabernde Nebel und honiggelbe Lichtschwaden über den Boden. In Grundzügen erinnern die Tanzszenen durchaus an die Gemeinschaftsprojekte von Richter und van Dijk.
Auch die alltagssprachlichen Texte und gesellschaftskritisch virulenten Themen, die Falk Richter, wie immer etwas eklektisch, disparat und am Ende mit deutlichen Redundanzlängen, aneinanderreiht, ähneln seinen früheren Arbeiten. Und doch ist dem Zeitgeistdidaktiker hier eine Spielvariante in melancholisch-ironischerem Tonfall gelungen. In einem markanten Auftritt spielt Regine Zimmermann die Schauspielerin Regine, der nicht nur ein Partner für ihre Kussszene fehlt, sondern die auch von sämtlichen Freunden versetzt wird, weil alle, wirklich alle fortwährend im Stress sind. Wie Tilman Strauß sich übers Sofa kugelt und ohne Ende lamentiert, wie „monstermäßig megabusy“ und „megamüde“ er ist, wie dann alle Figuren in den Chor der Stressmonster einstimmen, das hat Witz und Selbstironie. Und sogar Gretchens klassischer Liebesschmerz bekommt in diesem Setting einen neuen globalen Sinn: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer; ich finde sie nimmer und nimmermehr. […] Mein armer Kopf ist mir verrückt, mein armer Sinn ist mir zerstückt“, rezitiert Ilse Ritter, die Grande Dame der Schaubühne – und nicht Herzenskummer wird hier beklagt, sondern die Rastlosigkeit einer sich stets überfordert und ausgebrannt fühlenden Gesellschaft.
Überhaupt Ilse Ritter! Sie gibt dem Abend Tiefendimension. Neben all den jungen Orientierungslosen spielt sie eine demente Mutter, zugleich die lebenserfahrene Schauspielerin, die vom Sinn des Daseins und von ihren 50 Jahre zurückliegenden Beziehungsängsten erzählt. Womit der Autor seine generationsfixierte Gesellschaftsanalyse aufbricht und zeigt, dass die Menschen auch früher schon zwischen erotischer Sehnsucht und Autonomiebedürfnis hin- und hergerissen waren. Der Schmerz über den Liebesverlust, die Furcht vor Vergänglichkeit und Tod werden dadurch nicht geringer, aber universeller.
Das eigene Leid bei aller Verzweiflung nicht zu wichtig nehmen – so hatte man das bei Falk Richter noch nicht gehört.
■ „Never Forever“, Schaubühne, Kurfürstendamm, wieder am 11./12. September, 20 Uhr