nebensachen aus paris
: Bitte die Trikolore nicht vergessen!

Bevor Sie zu Ihrer nächsten Frankreichreise starten, sollten Sie ein Trikolorefähnchen anschaffen. Es wäre zudem sinnvoll, den Refrain der Marseillaise zu lernen (den Text finden Sie auf der Homepage vom Elyséepalast unter www.elysee.fr). Wenn Sie perfekt vorbereitet sein wollen, machen Sie sich noch ein paar Gedanken über Ihre Identität. Gemeint ist die deutsche. Falls Ihnen das gar zu peinlich sein sollte, legen Sie zumindest eine europäische Identität in Ihr Gepäck.

Diese Empfehlungen gelten für jeden Fall. Ganz egal, wer die nächste Wahl gewinnt. Denn patriotische Stoffstücke, Lieder und Symbole sind in dieser Saison en vogue. Nicht nur bei dem rechtsextremen Jean-Marie Le Pen – der lässt schon seit Jahrzehnten seine Parteiflamme in den nationalen Farben lodern. Sondern jetzt auch bei den dreien in der Mitte, die sich in Patriotismus überbieten. Der eine Rechte (Nicolas Sarkozy) verspricht ein Ministerium für die nationale Identität. Der andere Rechte (François Bayrou) stellt sich bei seinen Meetings mit geschlossenen Augen und kerzengerade auf die Bühne, um die Hymne zu singen. Die sozialdemokratische Dritte (Ségolène Royal) empfiehlt jedem Haushalt, eine Fahne anzuschaffen, um sie am 14. Juli zu hissen.

„Cocorico“ – kräht der gallische Hahn. Und die Beobachterin reibt sich die Augen. Hatten doch die FranzösInnen erst kürzlich ganz andere Sorgen: Waren in den Innenstädten gegen eine Streichung der Kündigungsfrist auf die Straße gegangen. Hatten in Vorstadtghettos Autos und Busse angezündet. Und hatten landesweit gegen eine Verfassung gestimmt, die ihnen zu wenig soziale Gerechtigkeit bot. Alles ohne Fähnchen und Hymnen.

Die KandidatInnen auf den aussichtsreichen Plätzen waren von den Umtrieben ihrer Landsleute jedes Mal überrumpelt. Vermutlich haben sie es auch jedes Mal als ungehörig empfunden, dass ihr eigenes Volk gegen ihre Politik demonstriert, zündelt und abstimmt. Aber sagen können sie das schlecht. Schon gar nicht jetzt. Wo jede einzelne Stimme zählt. Das wäre BürgerInnenbeschimpfung. Würde spalten. Und für Ärger sorgen.

Als Frankreichreisende wird es Ihnen ähnlich gehen. Sie suchen Harmonie und neue FreundInnen. Also schwenken Sie Fähnchen. Hymnen Sie. Und denken Sie daran, dass die Tricolore und die Marseillaise schon zu allen möglichen Zwecken gedient haben: Mal der Revolution. Mal der Konterrevolution. Mal dem Widerstand. Mal der Kollaboration. Mal militärischen Blasorchestern. Mal revoltierenden Reggaesängern. Trikolore und Marseillaise sind Wandersymbole. Deshalb gefallen sie PolitikerInnen jeder Couleur. Gerade deswegen taugen sie auch für Ihr Reisegepäck. DOROTHEA HAHN