Gewalt von rechts nimmt weiter zu

Laut offizieller Statistik stieg 2006 die Zahl von rechtsextrem motivierten Gewalttaten bundesweit um acht Prozent. Im Osten waren es laut Opferberatern sogar 18 Prozent

BERLIN taz ■ Als Koordinator der ostdeutschen Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt hat Dominique John schon viele traurige Statistiken zusammengestellt. Doch die jüngste Bilanz für das Jahr 2006 habe ihn „einigermaßen schockiert“, sagt John: „Einen Anstieg in dieser Dimension hätte ich nicht erwartet.“ Insgesamt 819 Gewalttaten wurden den Beratungsstellen aus Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeldet. Das waren rund 18 Prozent mehr Übergriffe als 2005. Und damals hatten die Beratungsstellen ebenfalls einen Höchststand an rechter Gewalt verzeichnet.

Die Zahlen der Opferberatungsstellen decken sich in etwa mit dem Trend, der auch aus der bundesweiten Zählung der Sicherheitsbehörden hervorgeht. Demnach hat die rechtsextreme Kriminalität im vergangenen Jahr auch im Bundesdurchschnitt massiv zugenommen. Das Bundesinnenministerium legte am späten Freitagnachmittag die endgültige Version seiner Statistik vor. Nach dieser stieg die Gesamtzahl rechtsextrem motivierter Delikte um 14 Prozent auf 18.142 Fälle. Der Großteil dieser Straftaten waren sogenannte Propagandadelikte – zum Beispiel Hakenkreuzschmierereien. Aber auch die Zahl der von Rechtsextremen verübten Gewalttaten nahm nach Zählung der Behörden bundesweit um fast acht Prozent auf insgesamt 1.115 Übergriffe zu.

Sprunghafte Anstiege rechter Gewalt registrierten die Opferberatungsstellen vor allem in Mecklenburg-Vorpommern (von 62 auf 103 Fälle) und in Sachsen (von 168 auf 208 Fälle) – in beiden Ländern sitzt die NPD seit einiger Zeit im Landtag. Auch in Berlin, wo die NPD im Herbst in Bezirksparlamente einzog, stieg die Zahl der registrierten Übergriffe von 115 auf 155 Fälle. Opferberater John führt diese Entwicklung auf das höhere Selbstbewusstsein der Neonazis in diesen Gegenden zurück – eine Vermutung, die man auch im Bundesinnenministerium teilt.

Der Anstieg der politisch motivierten Straftaten gebe „Anlass zur Sorge“, teilte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) teilte am Freitag mit. Gleichzeitig wies Schäuble darauf hin, dass auch andere Gründe zum jüngsten Negativrekord beigetragen haben dürften: So habe die breite Debatte um fremdenfeindliche Gewalt die Bevölkerung vermutlich für das Thema sensibilisiert und die Anzeigebereitschaft erhöht. Zudem dürfte sich die intensivere Arbeit der Polizei während der Fußball-WM in der Statistik niederschlagen.

Auch die Opferberatungsstellen wollen nicht eins zu eins vom Anstieg der Zahlen auf einen Anstieg der Kriminalität schließen. In vielen Polizeistellen sei die Sensibilität für rechtsextreme Straftaten zweifellos gewachsen, sagt Dominique John. Dies sei das Ergebnis jahrelanger Diskussionen um die lückenhaften Statistiken der Sicherheitsbehörden. Allerdings will John die massive Zunahme rechtsextremer Gewalt im Osten auch nicht nur als Folge einer höheren Sensibilität sehen: „Unser Eindruck ist, dass wir es in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit einem realen Anstieg zu tun haben.“

Auch die Bundestagsabgeordnete Petra Pau (Linkspartei) wertet die Zahlen als Zeichen für einen tatsächlichen Anstieg rechter Gewalt. Pau befasst sich seit Jahren intensiv mit den Erhebungen der politisch motivierten Kriminalität durch die Sicherheitsbehörden. In der Tat habe die Umstellung der Statistiken zu einem Anstieg der Zahlen geführt, sagt sie. Dieser Sprung sei aber schon vor zwei bis drei Jahren zu verzeichnen gewesen. Die PDS-Politikerin vermutet zugleich, dass die Dunkelziffer nach wie vor enorm ist. Oft müsse viel passieren, bis die Menschen zur Polizei gingen. „Die Statistik zeigt deshalb nur die Spitze des Eisberges.“

Auch die Bilanz der Opferberater in Thüringen verdeutlicht, wie lückenhaft das Bild noch immer ist. Im vergangenen Jahr verzeichneten die Beratungsstellen dort gerade mal ein Viertel der in Sachsen registrierten Fälle. John hält die Lage in Thüringen deshalb aber mitnichten für rosig. Die Initiativen seien dort finanziell einfach so schlecht ausgestattet, dass sie nicht mehr flächendeckend recherchieren und beraten könnten.

ASTRID GEISLER