: Raketen, Rechtsbeugung, Rektor
Der neu gewählte Rektor der Hochschule Bremen soll schon vor Ernennung wieder abgewählt werden: Gegner werfen ihm vor, eine Haftstrafe verschwiegen zu haben. „Längst verjährt“, sagt er
Als Amtsrichter in Frankfurt schrieb Hans-Christoph Jahr 1985 Rechtsgeschichte: Im Prozess um eine Sitzblockade vor dem Atomsprengkopf-Depot in Frankfurt-Hausen unterzog er den Nachrüstungsbeschluss zur Stationierung von Pershing-II-Raketen einer juristischen Prüfung. Ergebnis: Die Zustimmungserklärung der Bundesregierung zur Stationierung der Massenvernichtungswaffen war grundgesetzwidrig, völkerrechtswidrig und als Vorbereitung zum Angriffskrieg einzustufen. Jahr erkannte eine „Demonstrationspflicht“ und sprach die Blockierenden vom Vorwurf der Nötigung frei. Das Urteil wurde rechtskräftig. SIM
aus Bremen ARMIN SIMON
Die Hochschule Bremen ist Debakel bei der Suche nach Rektoren gewohnt. Nicht erst einmal zogen KandidatInnen für das Amt ihre Bewerbung zurück: vor der Wahl, nach der Wahl und oft in letzter Minute. Die Gerüchteküche brodelte auch damals.
Diesmal aber ist eine wahre Schlammschlacht um den Rektorenposten entbrannt. Von Rufmord und Strohmännern ist die Rede und von einer gezielten Kampagne des Rektorats, im Mittelpunkt des Streits: der Wirtschaftsdekan der Fachhochschule Oldenburg-Ostfriesland-Wilhelmshaven, Hans-Christoph Jahr. Der hatte gegen Amtsinhaber Elmar Schreiber kandidiert, der Akademische Senat ihm Ende Februar mit 13 zu acht Stimmen sein Ja gegeben. Schreiber, so das Votum der Mehrheit der Mitglieder, solle gehen.
Bis heute aber hat Schreiber seinen designierten Nachfolger nicht über das Wahlergebnis informiert. Auch bei der Wissenschaftsbehörde, die Jahr ernennen müsste, ging kein Schreiben ein. Dafür rief Schreiber den Akademischen Senat für nächste Woche zu einer Sondersitzung ein. Der müsse klären, wie weit er an Jahr festhalte – oder ob er dessen Wahl annulliere.
Anlass für das Revisionsbestreben gab ein zehn Jahre alter Artikel aus der Rhein-Main-Zeitung, einer Lokalausgabe der FAZ. Der, so lautet die offizielle Version der Hochschule, sei am Freitag für wenige Stunden im elektronischen Pressespiegel aufgetaucht und kurz darauf wieder verschwunden. Darin ging es um einen ehemaligen Amtsrichter, der eine zweieinhalbjährige Haftstrafe antrat wegen Rechtsbeugung antrat. Das Landgericht hatte ihn 1994 für schuldig befunden, Akten manipuliert zu haben, um seine Schludrigkeit zu verbergen. Hans-Christoph Jahr saß 18 Monate im Freigängerknast in Frankfurt-Preungsheim.
Wer den Artikel aus welchem Grund auf die Homepage gesetzt hatte, verriet die Hochschule nicht. Zugang zu dem System haben – neben der dem Rektorat unterstellten Pressestelle – lediglich wenige SystemadministratorInnen. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so wichtig.
Wichtiger jedenfalls war der gezielte Hinweis an den Weser-Kurier. Der titelte prompt vom „Beinahe-Rektor“, den die Vergangenheit einhole. Und zitierte den Wissenschaftssenator, der Jahrs Ernennung – „sollte sich das bewahrheiten“ – für „unvorstellbar“ erklärte. Gleichlautend äußerte sich Hochschulkanzler Peter Henckel.
Jahr selbst, der 1985 als Richter in einem spektakulären Prozess sieben DemonstrantInnen freigesprochen hatte, die das Atomwaffendepot in Frankfurt-Hausen blockiert hatten (siehe Kasten), spricht von einer „Schmierenkommödie“. Die Vorwürfe, betont er, seien alle längst verjährt, sein Führungszeugnis ohne Eintrag. Eine Pflicht, von sich aus auf seine Verurteilung hinzuweisen, habe nicht bestanden – und niemand habe ihn danach gefragt. „Die erfolgreiche Resozialisierung meiner Person lasse ich mir nicht kaputtmachen“, kündigte Jahr an.
In der Wissenschaftsbehörde will man sich auf Diskussionen um das Recht auf Resozialisierung und die Pflicht, Vorstrafen anzugeben, gar nicht erst einlassen. „Darum geht es nicht“, sagt Sprecher Rainer Gausepohl. Entscheidend sei, dass das Gremium, das Jahr gewählt habe, auf Basis unvollständiger Informationen entschieden habe. Jahrs Vergangenheit spiele sehr wohl eine Rolle. Die Hochschule, so die Absprache, solle sich nun selbst um einen Widerruf der Wahl bemühen. Denn der Senator sei bei der Ernennung eines Rektors zwar nicht an das Votum des Akademischen Senats gebunden. Ein Abweichen davon aber sei „von der Form her nicht schön“.
Nicht nur Jahr vermutet, dass Henckel seine Finger mit im Spiel habe. „Das sagen hier alle“, heißt es in der Hochschule – alle, die nicht auf Seiten Schreibers stünden. Henckel und Schreiber gelten als eingespieltes Team – mit klarere Aufgabenverteilung: „Henckel hat alle Fäden in der Hand.“ Wenn dem so ist, hat Jahr schlechte Karten: Eine Einführung in die Aufgaben als Rektor, teilte ihm Henckel schon vor Wochen mit, sei nicht vorgesehen.