Braune Heimat Speckgürtel

Erst machen sie auf gute Nachbarn, dann packen sie die Ideologie aus: Immer mehr NPD-Funktionäre aus Berlin lassen sich im Landkreis Oberhavel nieder – und engagieren sich dort in Vereinen und sozialen Einrichtungen. Offenbar wollen die Rechten ihre Ansiedlungsstrategie noch ausdehnen

Eine Spitzenfrau der NPD organisierte in Hohen Neuendorf das Mutterfrühstück

von KONRAD LITSCHKO

Astrid Mollenhauer ist immer noch ganz aufgebracht. „Wir sind total schockiert. Stella war immer nett und freundlich, liebevoll zu den Kindern. Und plötzlich das.“ Ein Jahr lang hatte Mollenhauer im Familienzentrum von Hohen Neuendorf gemeinsam mit Stella Kinder betreut, Schwangere und Mütter beraten – mit Stella Palau, Familienbeauftragte des Bundesvorstands der NPD, Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen, Mitglied im Landesvorstand der Berliner NPD. Dass sie es mit einer von Deutschlands hochrangigsten Rechtsextremen zu tun hatten, ahnten Astrid Mollenhauer und ihre Kolleginnen nicht.

Erst der Hinweis eines Lokalredakteurs klärte die Frauen vom Familienzentrum über ihre prominente Mitstreiterin auf. Ein Schock. Seitdem hat Stella Palau Hausverbot in der Einrichtung, und Hohen Neuendorf diskutiert heftig über seine Nazis. Denn Palau ist nicht die einzige Berlinerin mit braunem Parteibuch in Oberhavel, dem brandenburgischen Landkreis, der nördlich von Reinickendorf an Berlin anschließt. Mit ihrem Mann Jörg Hähnel, „nationalem Liedermacher“, NPD-Bezirksparlamentarier in Lichtenberg und Medienchef der Bundes-NPD, wohnt sie beschaulich in der 20.000-Einwohner-Stadt.

Im Nachbarstädtchen Birkenwerder haben sich die Berliner Nazi-Anwälte Richard Miosga und Wolfram Nahrath niedergelassen. Miosga trat zuletzt bei der vergangenen Bundestagswahl für die NPD in Tempelhof an. Nahrath, letzter Vorsitzender der im Jahr 1994 verbotenen Wiking-Jugend, unterhält bis heute eine Kanzlei in Weißensee. Zusammen leiten beide das Deutsche Rechtsbüro – einen Zusammenschluss von rund 40 rechtsextremen Juristen, die straffällige Kameraden aus ihren Prozessen zu boxen versuchen. Als Extraservice bieten sie die Überprüfung der Liedtexte von Rechtsrockbands an, damit diese nicht auf dem Index landen. Und in Oranienburg wohnt nicht nur Brandenburgs Vize-NPD-Chef, der frühere Berliner Detlef Appel, sondern auch Thomas Salomon. Der heutige Pressesprecher für den Brandenburger NPD-Landesverband und Lehrgangsleiter des Bundesvorstands war bis 1997 noch Chef der Berliner Nationaldemokraten. Die NPD-Kader scheinen sich in Oberhavel pudelwohl zu fühlen.

„Hier kommt’s wirklich massiv zusammen“, stöhnt Ralph Gabriel vom lokalen Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt. „Das reiht sich wie an einer Schnur an den Orten mit S-Bahn-Halt auf“, so der 36-Jährige. Auch Gabriele Schlamann vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg (MBT) sieht die Entwicklung mit Sorge: „Die Rechten scheinen in Oberhavel einen Rückzugsraum entdeckt zu haben, wo sie in Ruhe gelassen werden.“

Das bestätigt auch der Brandenburger Verfassungsschutz. „Wahrscheinlich gehen sie davon aus, im Umland besser der Beobachtung durch die Antifa entgehen zu können“, sagt Geert Piorkowski, Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums. Zudem hält man in der Behörde Kontakte zu bereits in Oberhavel wohnenden Parteifreunden für ausschlaggebend. Die Brücke Berlin-Oberhavel bestehe schon länger: Zu Vorträgen der NPD Oberhavel reisten stets auch Berliner Rechte an. Die verstärkte Ansiedlung der hauptstädtischen Rechten in Oberhavel habe man daher „aufmerksam registriert“, versichert Piorkowski.

Pikant am geballten Zuzug der NPD-Funktionäre ist deren scheinbar gutbürgerliches Engagement in den brandenburgischen Provinzen. Wolfram Nahrath zeigt sich aktiv im lokalen Fußballverein, Stella Palau beim Hohen Neuendorfer Kinderturnverein und im Familienzentrum. Zuletzt leitete die NPD-Frau in der Kindereinrichtung gar das Mutterfrühstück. „Sie hat sich hier stets als engagierte Mutter präsentiert“, bekennt Astrid Mollenhauer vom Familienzentrum. „Es gab keinen Punkt, an dem wir misstrauisch geworden wären.“

Genau davor warnt Gabriele Schlamann vom MBT: „Das ist das Ziel der Rechtsextremen: erst sich in der Mitte der Gesellschaft etablieren, dann die Ideologie auspacken.“ Der Verfassungsschutz sieht das nicht anders. „Das Beispiel Oberhavel passt in die bundesweite Strategie, sich über das Engagement in den Kommunen einen bürgerlichen Anschein zu geben“, sagt Geert Piorkowski. Einer der führenden Verfechter dieser Taktik ist Stella Palaus Ehemann Jörg Hähnel. In seiner Geburtsstadt Frankfurt (Oder) gab er schon in den 90ern Ständchen in Altenheimen und pflanzte „deutsche“ Eichen. Eine Strategie, die der NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern als Erfolgsrezept im Wahlkampf galt.

Das soll nun auch in Oberhavel funktionieren, wo die Berliner Nazis auf eine funktionierende Infrastruktur treffen: Hier befindet sich die Verwaltung des brandenburgischen Landesverbands, hier tummeln sich im NPD-Kreisverband nach eigenen Angaben die meisten Mitglieder im Land, hier wurde der vergangene Landesparteitag abgehalten. Offenbar nicht zufällig wohnte in Hennigsdorf bis vor wenigen Jahren noch der heutige NPD-Bundeschef Udo Voigt.

Und beim Status quo soll’s nicht bleiben. „Die NPD hat deutliche Bestrebungen kundgetan, sich hier weiter auszubreiten“, sagt Gabriele Schlamann vom MBT. Erstmalig wollen sie bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr flächendeckend in Brandenburg antreten. Auch dabei werden die Berliner Kameraden hilfreich sein: Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass „aufgrund des Mangels an vorzeigbarem Personal Rechtsextreme, die ihren politischen Schwerpunkt bislang in Berlin hatten, sich dem Brandenburger Landesverband als Kandidaten zur Verfügung stellen“, so Piorkowski.

In Hohen Neuendorf und Umgebung geraten diese Aktivitäten nun durch die „Causa Palau“ in den Fokus der Bevölkerung. „Es gibt hier viel Gesprächsbedarf“, bestätigt Astrid Mollenhauer. Eiligst wurde in der vergangenen Woche ein Informationsabend über Rechtsextremismus in der Region abgehalten – über 240 Besucher lauschten dem referierenden Mobilen Beratungsteam und dem Verfassungsschutz. „Man hat ja so Klischees von Rechten im Kopf, die hier nicht mehr zutreffen.“ Im Familienzentrum habe man Texte von Palau ausgehängt. „Die meisten Eltern sind völlig ungläubig und überrascht“, so Mollenhauer. Die lokale NPD spricht derweil von einer „Hexenverfolgung“ gegen ihre Spitzenfrau.

Die Betroffene selbst gibt sich gelassen. Ein Hausverbot aufgrund eines Parteibuchs sei „selbstverständlich vollkommen daneben“, aber nicht überraschend „in dieser Demokratie“, so Stella Palau. Mehrere Bürger hätten sich mit ihr solidarisiert. Eine lokalpolitische Betätigung will die 29-Jährige daher inzwischen nicht mehr ausschließen: „Vielleicht kommt mir die plötzliche Popularität ja noch zugute.“

Die NPD Oberhavel hat längst bei Palau angefragt, ob sie nicht als Wahlkreiskandidatin für die Kommunalwahl im nächsten Jahr zur Verfügung stünde. Man kenne sich ja bereits. Im vergangenen Jahr sprach Palau schon einmal vor den Kameraden aus Oberhavel – über „nationale Familienpolitik“.