: Manchmal ja, manchmal nein
JÜDISCHES MUSEUM Mit den Saxofonisten John Zorn als Paten zeigt „Radical Jewish Culture“ den jüdischen Einfluss auf die Musik New Yorks im Allgemeinen und auf den Jazz im Besonderen seit den frühen 1990er Jahren
VON ANDREAS HARTMANN
Noch bevor man die eigentliche Ausstellung „Radical Jewish Culture“ im Jüdischen Museum betritt, wird man im Foyer von einem überlebensgroßen Portrait des Saxofonisten und Komponisten John Zorn begrüßt. In der für ihn typischen Pose – die Schultern seltsam nach oben gezogen, das Altsaxofon etwas seitlich am Körper haltend – wird er dargestellt. John Zorn ist sozusagen Pate der Ausstellung, die sich mit dem jüdischen Einfluss auf die Musik New Yorks im Allgemeinen und auf den Jazz im Besonderen seit den frühen Neunzigern beschäftigt.
Die meisten der Protagonisten, von denen die Ausstellung handelt, waren allerdings schon in den Achtzigern aktiv und bildeten die sogenannte Downtownszene, die undogmatisch Jazz, Rock und Avantgarde zusammenwarf und entscheidend dazu beitrug, New York zu der damals musikalisch vibrierendsten Stadt der Welt zu machen.
Auf John Zorns Initiative ging es zurück, dieser wild wuchernden Szene eine neue Identität zu verpassen, der sie sich zu großen Teilen vorher gar nicht so bewusst war: nämlich eine jüdische. Für ein Festival in München kuratierte Zorn 1992 einen Programmteil „Festival for Radical New Jewish Culture“, in dessen Rahmen er auch seine Komposition „Kristallnacht“ uraufführte, und ein paar Jahre später begann er damit, auf seinem für Avantgardeklänge aller Art bis heute immens einflussreichen Label Tzadik Musik unter dem Rubrum „Radical Jewish Culture“ zu veröffentlichen.
Die Ausstellung im Jüdischen Museum versucht nun, die Herkunft genauso wie die immer noch faszinierende Vielschichtigkeit dieser von John Zorn mit einem Label versehenen und durchaus konstruierten Szene zu untersuchen. Grundsätzlich geht es dabei um die Frage: wie jüdisch ist diese Musik, die von Juden stammt, die sich aber ursprünglich eher einer amerikanischen denn einer jüdischen Musiktradition verpflichtet fühlten? Verblüffend ist, wie es den Kuratoren des Jüdischen Museums gelungen ist, ein ethnifiziertes musikalisches Genre in ein schlüssiges Ausstellungskonzept umzusetzen, wie eine Musikrichtung begehbar gemacht wurde. Am Eingang der Sonderausstellung bekommt man einen Kopfhörer in die Hand gedrückt und bewegt sich mit diesem durch ein audiovisuell buntes jüdisches New York der Neunziger. Man stöpselt seine Kopfhörer ein, wo man will, und lauscht dem Klarinettisten David Krakauer, der sein Konzept einer musikalisch erneuerten, radikalisierten Klezmermusik erläutert. Oder man begibt sich in eine der Videokabinen und hört sich den teilweise wahnwitzigen Avantgarde-Jazz John Zorns bei Live-Aufführungen einfach an.
Schlüssig wird anhand vieler ausgestellter Plattencover und Porträts einzelner Musiker herausgearbeitet, wie sich für die New Yorker Downtownszene das durch Zorn forcierte Bekenntnis zum Jüdischsein als eine Art Befreiung erwies. Die Klezmer-Tradition in Osteuropa war durch die Katastrophe der Shoa etwas Vergangenes, sozusagen eine Opa-Musik. Nun machte man sich wieder daran, jüdische Wurzelforschung zu betreiben, aber eben unter neuen Bedingungen. Klezmer wurde für einige der „Radical Jewish Culture“-Musiker etwas Jüdisch-Amerikanisches und zum neuen Jazz.
Die meisten dieser Musiker waren und sind säkular, politisch meist links oder wie die Band The Klezmatics gar dezidiert schwul-queer und doch ist diese Szene durchdrungen von jüdischer Spiritualität. Selbst der Deathmetalfan John Zorn hatte seine kabbalistische Phase und seine Band Massada hat er bewusst nach dem mystischen Ort in Israel benannt, der heute symbolisch für den Überlebenswillen des Judentums steht.
Bei all dem Drang, sich zur jüdischen Identität zu bekennen, bleiben aber trotzdem die Absage an jede Form von Dogmatismus und der doch eher spielerische Umgang mit dem Judentum bestimmend. Zorn hat auf seinem Label bereits mehreren jüdischen Popmusikern wie Marc Bolan oder Serge Gainsbourg Tribute-Sampler gewidmet. Er selbst stellte sich dazu einmal rhetorisch die Frage: „Gibt es einen jüdischen Inhalt in ihrem Werk?“ Und antwortet darauf: „Manchmal ja, manchmal nein.“
■ „Radical Jewish Culture“ – Sonderausstellung im Jüdischen Museum, bis 24. Juli 2011, Mo. 10–22 Uhr, Di.–So. 10–20 Uhr