: Der Autor grinst und schweigt
LITERATURFESTIVAL 1 Ein Ire auf den Spuren Hermann Hesses: Danny Morrison las aus seinem Roman „Rudi – Im Schatten von Knulp“
„Es ist immer schön, in einer katholischen Kirche ‚fuck‘ zu sagen!“ Der Moderator Bernhard Robben erinnert sich noch genau an die Worte des Dubliner Autors Roddy Doyle, als der vor acht Jahren aus seinem Roman „Jazztime“ in der Kulturkirche Köln las. Zum Auftakt der 14. Ausgabe des Berliner Literaturfestivals stellte ein anderer irischer Autor, Danny Morrison, am Mittwoch seine Erzählung „Rudi – Im Schatten von Knulp“ vor. Auch ihn führt Bernhard Robben durch den Abend, vor dem Altar der Neuköllner Martin-Luther-Kirche. Ob Morrison nun Ähnliches denkt, möchte Robben wissen; der Autor grinst und schweigt.
In den kommenden elf Tagen präsentieren Schriftsteller und Schriftstellerinnen Werke zum Thema Verständnis und Vertrauen. Die Teilnehmer des Festivals stammen dabei zum einen aus Ländern wie Irland oder Südafrika, in denen Konflikte bezwungen werden konnten, zum anderen aus Krisengebieten wie Syrien oder der Ukraine, in denen nicht absehbar ist, wie sich die Feindschaften je in gegenseitiges Vertrauen verwandeln können. Danny Morrison wirkt sehr gelassen, vielleicht gerade wegen der andächtigen Umgebung der lutherischen Gemeinde. Vor der Kanzel nehmender Autor, der Moderator Bernhard Robben und der Sprecher Matthias Schwerenikas Platz. Morrison hat mit „Rudi – Im Schatten von Knulp“ Hermann Hesses Erzählung über den Landstreicher Knulp fortgesetzt. Den Protagonisten gab er dafür neue Namen, die Handlung verlegte er in die Zeit ab den 1960er Jahren. Sein Roman erzählt eine irische Geschichte, die Realismus und Romantik, Idylle und Kriminalfall sowie Naivität und Raffinesse verknüpft. Wie bei Knulp lässt eine gescheiterte Liebe Rudi zum Landstreicher werden. In seiner Vielschichtigkeit ist der Roman nicht nur die Geschichte eines zum Außenseiter gewordenen Individuums, sondern auch ein faszinierendes Dokument für das Nordirland der Nachkriegszeit.
Morrison war in den 80er Jahren einer der prägenden Intellektuellen der republikanischen Bewegung und verbrachte viele Jahre im Gefängnis. In dieser Zeit habe er über 400 Bücher gelesen, darunter Hesses Gesamtwerk, erzählt er zu Beginn der Veranstaltung. Der Stoff, den Hesse in „Knulp“ verarbeitete, habe ihn nicht mehr losgelassen. Doch wie gelingt es einem irischen Schriftsteller, einen wichtigen Autoren der deutschen Literatur zu variieren?
Um ein Gefühl für Hesses Nuancen und seinen Klang zu bekommen, hat Morrison verschiedene englische Übersetzungen gelesen. „Es war nicht einfach, mir ein Netzwerk seiner Sprache zu erarbeiten“, sagt er. Die Sprachbarriere war nicht das einzige Hindernis. „Mir war vor allem wichtig, eine zeitliche Synchronität zu schaffen. Dabei musste ich bei geschichtlichen und politischen Hintergründen, aber auch bei der Namensgebung meiner Protagonisten mit großer Sorgfalt arbeiten.“
Morrison liest ein kurzes Stück seines Romans auf Englisch, bevor Matthias Schwerenikas dem Publikum ein geschlossenes Kapitel in deutscher Sprache vorträgt. Gerade die Lesung der deutschen Fassung lässt die sprachliche Problematik deutlich werden. So sehr man sich auch bemüht, Hermann Hesse hört man an diesem Abend nicht sprechen. Es ist eben die eigene Handschrift, die einen Autor auszeichnet.
Was Morrison sprachlich nicht schafft, gelingt ihm in der Umsetzung des Plots. Schon Hesse rühmte das Bild des Landstreichers, sah diesen als Sinnbild des Schriftstellers, des Außenseiters. In den vorgetragenen Textstellen zeichnen sich deutliche Parallelen zwischen den beiden Protagonisten Knulp und Rudi ab. Beide Figuren haben Schwierigkeiten mit dem Leben, sind von der Liebe gebeutelt, durchfahren von Ängsten.
Und wie Knulp ist Rudi sich sicher, endgültigen Seelenfrieden nur im Tod zu finden. Hesse, Morrison, Kirche: Das passt.
NADJA NEQQACHE