Die Müllfrau

Vera Gäde-Butzlaff, die Vorstandschefin der Stadtreinigung, herrscht über tausende Männer. Wenn es etwas gibt wie einen weiblichen Führungsstil – sie praktiziert ihn

Zwischen all dem Orange wirkt sie mit dem dunklen Blazer deplatziert. Sie fällt auf, weil sie so unauffällig ist Als Erstes hat sie eine Schicht mitgemacht – und zugepackt. „Das war keine Kindertour“, lobt ein Müllwerker

VON ULRICH SCHULTE

Männer. Überall Männer. Männer mit dicken Schnauzbärten und Furchen in den kantigen Gesichtern. Sie tragen orangefarbene Hosen, sie sitzen breitbeinig und kauen Käsestullen, wenn sie nicht gerade derbe Witze reißen. Vera Gäde-Butzlaff ist umgeben von Männern. Sie steht in der Kantine des BSR-Betriebshofs Forckenbeckstraße zwischen zwei Gummibäumen und hält etwas linkisch ein Mikrofon. Als die zierliche Frau zu sprechen beginnt, wird es still in diesem Raum, der vor Testosteron nur so strotzt. Ein Wunder ist das nicht.

Vera Gäde-Butzlaff, 52, ist die Chefin hier. Sie gebietet nicht nur über die 200 Müllfahrer, die an diesem Morgen um kurz vor sechs langsam ungeduldig werden, weil sie auf ihre Tour wollen. Seit Gäde-Butzlaff Anfang Februar zur neuen Vorstandsvorsitzenden der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) ernannt wurde, steuert sie die Geschicke eines der größten Entsorgungsunternehmen Europas. Sie ist verantwortlich für 5.400 Mitarbeiter, von denen nur jede Achte eine Frau ist. Die BSR sind ein Männerbetrieb, ob es nun die in Orange oder die mit Krawatten sind, und mit Gäde-Butzlaff steht zum ersten Mal eine Frau an der Spitze.

Draußen auf dem Betriebshof hocken die Müllautos wie riesige schlafende Tiere im Morgengrauen. Etwas später, wenn Gäde-Butzlaff ihre morgendliche Ansprache beendet hat, wird eins nach dem anderen brüllend erwachen, Scheinwerfer werden aufleuchten, Auspuffrohre qualmen. Wie jeden Morgen werden die Müllwerker auf ausgeklügelten Touren nach Dahlem und Lichterfelde, nach Charlottenburg und Spandau aufbrechen.

Auch die Chefin ist einmal mitgefahren – nicht als dritte Frau, sondern als zweiter Mann. Sie hat zugepackt, nicht zugeschaut, und zwar in der Innenstadt am Stuttgarter Platz. Die Müllfahrer wuchten die Tonnen hier aus Hinterhöfen, durch Toreinfahrten und über Bordsteinkanten, immer knapp an parkenden Autos vorbei. „Das war keine Kindertour“, brummt ein Müllfahrer anerkennend zum Einstieg der Chefin. Die hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen den Bereich Müll, der bei der Vorstandsvorsitzenden angesiedelt ist, umbenannt. Aus „VA – Vorstand Abfallwirtschaft/Logistik“ wurde „VM – Vorstand Müllabfuhr“. Zurück zu den Wurzeln.

Als Gäde-Butzlaff das in der Betriebshof-Kantine bekannt gibt, klopfen die Männer mit der Faust auf die Tische. „Jawoll!“, brüllt einer. Solche Kleinigkeiten sind wichtig in der BSR. „Die Jungs wollen klare Ansagen“, sagt Gäde-Butzlaff. „Ob die von einem Mann oder einer Frau kommen, ist ihnen egal.“ Bei der BSR geht es immer noch zu wie in einem Familienbetrieb, trotz eines jährlichen Umsatzes von fast 500 Millionen Euro. Das bestätigen alle, der Betriebsrat, die Pressesprecherin oder Gäde-Butzlaff selbst. Wenn der Vater bei der BSR Müll fährt, tut es der Sohn oft auch. „Der Vorstand ist nicht so weit weg wie in anderen Unternehmen“, sagt Gäde-Butzlaff.

Ihr selbst fehlte jeglicher Stallgeruch, als sie 2003 in den Vorstand der BSR wechselte. Drei Jahrzehnte zuvor war Gäde-Butzlaff aus Niedersachsen nach Berlin gekommen, um an der Freien Universität Jura zu studieren. Danach machte sie Karriere, stand aber immer in der zweiten Reihe: als Verwaltungsrichterin in Berlin, als Ministerialdirigentin und später Staatssekretärin im Umweltministerium von Sachsen-Anhalt. Ein Parteibuch besitzt Gäde-Butzlaff nicht.

An eine Anforderung ihrer neuen Rolle hat sie sich noch nicht gewöhnt: Plötzlich muss sie repräsentieren. Sie ist jetzt das BSR-Gesicht. Noch heute ärgert sie sich darüber, dass sie sich von der Pressestelle breitschlagen ließ, einer Boulevardzeitung nach ihrem Amtsantritt Privatfotos zum Abdruck zu geben. Vor den Männern im Betriebshof vergisst sie manchmal, dass sie ein Mikrofon in der Hand hält. Dann wird ihre Stimme kurz leiser, weil sie damit gestikuliert.

Zwischen all dem Orange wirkt sie etwas deplatziert mit dem anthrazitfarbenen Blazer und der schwarzen Bluse. Sie fällt auf, weil sie so unauffällig ist. Das scheint ihr öfter zu passieren. Auch zwischen ihren Managerkollegen ist sie ein Unikum, schon deshalb, weil sie manchmal den Mund hält. Auch mal zwei Tage lang auf einer Konferenz, wenn sie der Ansicht ist, alles Wichtige werde von anderen gesagt. Der Drang, sich zu produzieren, sei bei Frauen nicht so stark, sagt Gäde-Butzlaff. „Wenn ich einen Mitarbeiter kritisiere, achte ich darauf, dass er sein Gesicht nicht verliert. Plakatives liegt mir fern.“ Wenn es so etwas wie einen weiblichen Führungsstil gibt, liefert Gäde-Butzlaff Tag für Tag ein gutes Beispiel. Ralf Ränker, der Leiter des Betriebshofs Forckenbeckstraße, sagt: „Die Vorstandsvorsitzende schreibt keine Mail, in der steht: Regel das! Sie ruft an und fragt, wie können wir das regeln?“

Wobei schon dumme Sprüche kamen, als sie ihre Bewerbung für den öffentlichkeitswirksamen Sprecherposten im Vorstand abgegeben hatte. Oder, wenn man sich nicht traute, komische Blicke und Tuscheleien auf dem Flur. Eine Frau an der Spitze der BSR? „Die Bedenken kamen vor allem aus den oberen Etagen“, erzählt Gäde-Butzlaff.

Sie arbeitet meist von 8.30 bis 23 Uhr, ein Leben, das für ihre Managerkollegen nur mit der Frau im Hintergrund denkbar ist. Von den Arbeitnehmervertretern kamen keine Einwände. Sie fragten nur, was die neue Chefin fachlich kann. „Bei den Müllfahrern arbeitet die Frau oft mit, um die Familie zu finanzieren. Sie sind viel emanzipierter als die Vorstandsetagen“, glaubt Gäde-Butzlaff.

Sie und ihr Mann sind seit 26 Jahren verheiratet und „ein eingespieltes Team“. Das Paar lebt eine Rollenverteilung, die fast traditionell anmutet – nur eben umgekehrt. Er, ein Philosophielehrer, kann sich seine Zeit besser einteilen. Bevor sie 1998 nach Sachsen-Anhalt in die Politik ging, haben sie geredet. Und entschieden, dass er sich um Kind und Familie kümmert. Inzwischen ist ihre Tochter fast 18 Jahre alt. „Da kommt es sowieso nicht mehr auf Quantität an, sondern auf Qualität – und auch mal auf ein paar Euro mehr.“

Natürlich besitzt die neue Chefin Machtinstinkt und Härte, sonst wäre sie nicht da, wo sie ist. Gegen ihren Vorgänger, den geltungsbewussten Wiener Gerhard Gamperl, hat sie sich leise, effizient und unnachgiebig durchgesetzt. Vom zweijährigen Zwischenspiel Gamperls, der dubiose Beraterverträge abgeschlossen haben soll und schließlich vom Aufsichtsrat wegen „Pflichtverletzungen“ und eines „zerrütteten Vertrauensverhältnisses“ gefeuert wurde, ist kaum etwas an der sauberen BSR-Fassade kleben geblieben. „Wir haben den Kollegen das erklärt, dann wurde konsequent gehandelt“, sagt sie über den Rausschmiss.

Sie konnte den Wechsel an der Unternehmensspitze auch deshalb so schnell für sich entscheiden, weil sie die Basis, die einfachen Männer, hinter sich wusste. Ihr Vertrauen erarbeitet sie sich auch mit Betriebshof-Terminen, wie der „Frühsprache“ an diesem Morgen. Sie nickt verständnisvoll, wenn ein stämmiger Müllfahrer mit Glatze laut motzt, weil die neuen Wagen wegen Problemen mit der Hydraulikpresse nur 25 statt 26 Tonnen Müll laden. Sie weiß, dass die kleine Differenz für die Männer eine Fahrt mehr zur Verbrennungsanlage bedeuten kann.

Die Stadtreinigungsbetriebe sind ein kommunaler Vorzeigebetrieb, nach wie vor. Sie machen Plus, andere landeseigene Unternehmen wie die BVG machen Miese. Die Müllwerker verdienen gut, wer lange dabei ist, bis zu 3.000 Euro brutto im Monat. Ihr Dienst dauert von 6 Uhr bis 14.18 Uhr, was kein Tippfehler ist, sondern an den exakt geregelten Pausenzeiten liegt. Die Berliner Müllgebühren sind im Vergleich mit Hamburg, Köln oder München niedrig. Und ein mit Solarzellen und Erdwärmekollektoren bestückter Vorzeige-Reinigungshof ist so vorbildlich konstruiert, dass sogar die Hitze des Duschwassers zurückgewonnen wird.

Wie wichtig es ist, dass Entsorgungsbetriebe der Allgemeinheit gehören und nicht einer Privatfirma, kann Gäde-Butzlaff in langen Referaten ausführen. Im Prinzip läuft es auf einen Satz hinaus: „Der Kommunale fährt überall, der Private nur in der Innenstadt.“ Oder er nimmt eben mehr Geld, wenn er eine kleine Tonne im Außenbezirk leeren muss, um die Rendite zu steigern. Bei der BSR ist das anders. Macht sie Gewinn, kommt er über die Müllgebühren den Berlinern zugute. Gäde-Butzlaff ist also eine Managerin, die nicht profitorientiert denkt. Es ist immer das Gleiche mit dieser Frau: Sie passt in keine Schublade, die die öffentliche Meinung für Firmenbosse reserviert hat. Gefragt, ob sie als Frau immer ein bisschen besser sein musste als ein Mann, sagt sie: „Weiß ich nicht. Ich war noch nie ein Mann.“