: Berliner Knackis schmoren länger
In keinem anderen Bundesland sitzen Gefangene so lange ein wie in Berlin. Selbst Bayerns Häftlinge kommen früher auf freien Fuß. Grüne: Knästen mangelt es an Personal für die Resozialisierung
VON FELIX LEE
Schon lange geht die Klage in der Stadt: Berlins Knäste sind zum Bersten voll. Kein Wunder, könnte man jetzt meinen: Was die Praxis der vorzeitigen Haftentlassung betrifft, ist Berlin bundesweites Schlusslicht.
Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts können lediglich 9,15 Prozent der Berliner Häftlinge vor Ablauf ihrer Freiheitsstrafe den Knast verlassen. Am frühesten entlässt Schleswig-Holstein: Dort kommt fast jeder dritte Häftling vorzeitig auf freien Fuß. Und selbst Bayern lässt 19,61 Prozent der Häftlinge früher gehen. Der Bundesschnitt liegt bei 18,65 Prozent.
Über die Gründe für die geringe Zahl der vorzeitigen Haftentlassungen wird nun spekuliert. Für Benedikt Lux, den rechtspolitischen Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, sind es „verzögerte Haftprüfungen und Vollzugspläne“. „Das Problem ist nicht vom Himmel gefallen, sondern eine Eigenproduktion des Senats“, kritisiert Lux. Der habe viel zu lange „weggeschaut, vertuscht und die Hände in den Schoß gelegt“.
Grundsätzlich haben Strafgefangene nach Ablauf von zwei Drittel ihrer Haftzeit Anspruch auf eine Haftprüfung. Die Richter wägen ab, ob vom Häftling noch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht. Darauf müsse die Anstalt den Häftling jedoch entsprechend vorbereiten, sagt Lux. Und dafür fehle es in den überfüllten Gefängnissen der Hauptstadt an Personal. „Kaum eine andere Berufsgruppe im öffentlichen Dienst hat unter den Kürzungen so zu leiden wie die Strafvollzugsbediensteten“, so grüne Abgeordnete.
Justizsprecherin Barbara Helten bestreitet die Vorwürfe und nennt die Kritik „nicht ganz sachlich“. Über die vorzeitige Entlassung entscheide allein die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Die Justizverwaltung habe darauf keinen Einfluss. Helten weist darauf hin, dass Berlin dafür bei den Freigängen an der Spitze stehe. In keinem anderen Bundesland könnten Häftlinge tagsüber so selbstbestimmt aus- und eingehen wie in Berlin. Nur abends müssten sie wieder in den Haftanstalten anwesend sein.
Eine Erklärung, warum die Zahl der vorzeitig entlassenen Häftlinge in der Hauptstadt so gering ausfällt, liefert Helten gleich mit: Kommt es zu einer Haftentlassung, müssten die Häftlinge dem auch zustimmen. Sie habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass viele darauf verzichten, weil sie sonst über Jahre hinweg einen Bewährungshelfer auf den Fersen hätten. Viele bevorzugten für einige Zeit den offenen Vollzug, um anschließend völlig frei zu sein.
Benedikt Lux findet diese Begründung „absurd“. Der Senat beschneide die Häftlinge in ihren Rechten und verschärfe so die Überbelegung der Gefängnisse. Das gehe auch nicht nur zulasten von Häftlingen und Bediensteten. Lux: „Die Kosten dafür tragen auch die Steuerzahler.“