: Eine täuschend echte Republik
Die „Vereinten Transnationalen Republiken“ residieren in Berlin. Sind sie auf die Weltherrschaft aus? Auf globale Demokratie? Auf beides? Eine Spurensuche vor Ort
VON JOHANNA SCHMELLER
Schwer liegt die Münze in der Hand, kühl und spiegelglänzend. Nicht zweifarbig wie unser altmodischer Euro, nicht matt gegriffen wie die letzte antike Mark. Schnell einmal kräftig draufgebissen. Tatsache! Das riecht und schmeckt nach echtem Geld.
Jakob Zoche fegt die ausgelegten Payola einzeln von der Schreibtischplatte und füllt sie zurück in ein helles Baumwollsäckchen. Noch sind wir nicht so weit, soll das wohl heißen. Doch in etwa fünfzig Jahren wird ein Bürger der Vereinten Transnationalen Republiken mit diesen Payola in Marrakesch Birnen kaufen. Oder im Berliner Zoo den Urenkel von Knut dem Eisbären besuchen. Nur eines wird nie jemand mit dieser Währung zahlen: ein Visum.
Bis dahin präsentieren die Transnationalen Republiken ihr Konzept in renommierten Institutionen wie dem Pariser Palais de Tokio, den Münchner Kammerspielen und vor einem Jahr sogar auf einer politischen Tagung der Unesco. Sie haben Botschaften in Oslo, Sydney und Brüssel. Und ein eigenes Konto bei einer großen deutschen Bank – nur für den Fall, dass plötzlich alle in Umlauf befindlichen Payola rückumgetauscht werden müssten.
Auf dem blankpolierten Klingelschild des Berlin-Büros ist zu lesen: „Jakob Zoche/Transnationale Republik“. Ein wenig gleicht das Büro der Vereinten Transnationalen Republiken im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg eher einer geräumigen, aber nicht unbedingt übertrieben aufgeräumten Studentenwohnung – auch der Teil, in dem Jakob Zoche gar nicht wohnt, sondern nur arbeitet. Hinter Zoche hängt eine große Fahne mit dem Logo der Vereinten Transnationalen Republiken. Daneben ein altes Plakat, das auf den Vorentscheid zur Nationalhymne der Vereinten Transnationalen Republiken hinweist. Daneben das Gründungsmanifest. Daneben ein überdimensionales Foto, das den Regierungssitz zeigt – ein äußerst repräsentatives Bauwerk, von dessen Dach gleich mehrere der jeansblauen Nationalflaggen wehen. Vor der Tür: die Staatskarosse, auf deren Motorhaube das transnationale Logo prangt. Ein Kombi, älteres Modell.
Auf den ersten Blick könnte man das mehrstöckige imposante Gebäude auf dem Bild für die Universität der Künste zu Berlin halten. Und Jakob Zoche, Vorsitzender der Transnationalen Republiken, ist einem durchschnittlichen 30-jährigen Kunststudenten nicht unähnlich in Kleidung und Gestus. Gelegentlich lächelt er etwas verunsichert. Die Hände bohrt er tief in die Taschen seiner grauen Anzughose. Und er spricht. Wirklich. Ziemlich. Langsam. „Die Idee hatten wir 1996“, sagt Jakob und meint mit „wir“ eigentlich seinen älteren Bruder Georg. Der saß damals mit einigen Freunden in einer Münchner Wohnung. Ungefähr zu zwölft waren sie an diesem Abend, erzählt Georg Zoche. Es gab Pasta und Wein, als einer der Anwesenden den Fall einer in Deutschland lebenden Russin schilderte, deren Pass nicht verlängert worden war. Zu lange habe sie schon in Deutschland gelebt, zu selten sei sie in Russland gewesen, so die Begründung der Botschaft. „Diese Geschichte hat eine Diskussion ausgelöst, wie verrückt es eigentlich ist, dass man ohne Ausweis niemand ist: Man bekommt keine Arbeit, keine Wohnung, kann kein Bankkonto eröffnen. Man braucht immer ein Papier, das dies erlaubt. Und das wiederum heißt: Man braucht immer jemanden, der für einen den Papierkram macht“, resümiert Jakob. Spontan entschloss sich die Gruppe zum Weltverbessern: Eine neue Republik musste her, eine Metaorganisation mit eigener Währung und eigenen Ausweisen.
Gegen halb zwei Uhr am nächsten Morgen war die Idee zur Gründung der Vereinten Transnationalen Republiken geboren. Und während andere kleine Brüder abgegriffene Kleidung auftragen, erbte Jakob Zoche in den Folgejahren langsam eine Republik.
„Die Einteilung der Menschen in Nationen ist bizarr und willkürlich“, sagt Jakob überzeugt, „denn meist versteht man sich mit Menschen aus der ganzen Welt besser als mit den eigenen Nachbarn.“ Seit sechs Jahren ist er selbst nun Bürger der jungen Republik, heute als einer der drei Hauptverantwortlichen. „Zunächst mussten wir uns dem Problem widmen, was Währungen eigentlich sind und welchen Effekt es hat, wenn wir eine Million Payola drucken“, sagt er. „Irgendwann haben wir kapiert, dass schon am Herausgeben einer Währung extrem viel Macht hängt.“
Später hätten sie dann gehört, dass auch Keynes zu diesem Schluss gekommen sei und dass „die Amis die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg zu sich eingeladen haben, nach Bretton Woods, um darüber zu entscheiden, wie man die Währungen neu organisiert.“ Ganz ähnlich sei der gedankliche Prozess damals auch bei Zoches abgelaufen. Sogar völlig ohne Keynes.
Ausgerufen wurden die Vereinten Transnationalen Republiken erst nach fünf Jahren gründlicher Vorbereitung, am 16. April 2001. Jakob war 24, als sich hunderte von Leuten im Münchner Atomic Café zusammendrängten, „zum Teil in Smoking und Abendkleid“, wie sich Georg erinnert. Er habe im Vorfeld auf Flugblättern und Einladungen extra um Abendgarderobe gebeten, denn schließlich sei die Ausrufung einer Republik eine höchst feierliche Angelegenheit. Aber keine allzu ernste: „Der Spaß stand von Anfang an im Vordergrund.“
Es wurde getanzt, Getränke wurden gegen Payola getauscht, und man konnte die ersten Ausweise für 10 Euro (oder Payola) erwerben. Dazu spielten Fuzzy Love, ehemals Vorband von Lenny Kravitz, nun amtierende Staatskapelle der Vereinten Transnationalen Republiken, Klassiker wie „Bésame mucho“.
Täuschend echt sehen Flaggen, Karten und die mit einem kleinen Laminiergerät und einem guten Grafikprogramm gefertigten Dokumente und Geldscheine aus. So echt, dass einem Bürger der Transnationalen Republik jüngst sein Ausweis von der Polizei abgenommen wurde. Doch gerade hier zeitigte das Subsidiaritätsprinzip beeindruckende Erfolge: Die Eltern von Georg und Jakob schrieben einen empörten Brief an die Behörden, die schließlich einlenkten. Der Besitzer erhielt seine transnationale Identität zurück. Man habe sich getäuscht, offensichtlich sei das Papier ja eher als eine Art Vereinsausweis anzusehen.
Ähnlich verwirrt wie die Amtsträger sind einige Weltbürger, erzählt Jakob: „Wahrscheinlich ist unser Projekt auf einer nigerianischen Homepage verlinkt. Das würde zumindest erklären, weshalb wir so viele Anträge aus Nigeria bekommen. Oft müssen wir antworten, dass wir leider kein Land sind, in das man einwandern kann, sondern ein politisches Projekt.“