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Archiv-Artikel

Die EU ist im Wahlkampf fast abwesend

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Frankreich versuchen die KandidatInnen der Mitte, das Thema Europa zu vermeiden. Sie haben alle für die Verfassung gestimmt. Deren linke Kritiker wollen eine ganz andere EU und ein europaweites Referendum

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Bloß nicht von Europa reden. So lautet ein unausgesprochener Konsens der drei wichtigsten KandidatInnen der Mitte. In ihren Programmen erwähnen der Rechte Nicolas Sarkozy, die Sozialdemokratin Ségolène Royal und der Zentrist François Bayrou das Thema EU nur ganz am Rand. Bei ihren Veranstaltungen versprechen sie Reformen, die kaum mit geltenden EU-Verträgen vereinbar sind. Die beiden rechten Kandidaten winken den kleinen und mittleren französischen Unternehmen mit Aufträgen, die Sozialdemokratin verspricht eine Entprivatisierung der Elektrizitätswerke. Und zu der Zukunft der von 55 Prozent ihrer Landsleute abgelehnten EU-Verfassung äußern sie sich allenfalls nebulös. Ihr Haupthandicap: Alle drei waren für die Verfassung.

Eine offensive Debatte über die EU führen hingegen einige KandidatInnen der radikalen Linken. Nachdem sie vor knapp zwei Jahren „non“ zu dem Verfassungsvertrag gesagt haben, verlangen sie im Präsidentschaftswahlkampf in relativer Einmütigkeit neue Verhandlungen über die europäischen Verträge.

Aus der EU austreten will in Frankreich heute nur noch ein einziger Präsidentschaftskandidat: der Trotzkist Gérard Schivardi (PT), dem die MeinungsforscherInnen weit unter 0,5 Prozent prognostizieren. Alle elf anderen KandidatInnen wollen in der EU bleiben – sie aber mehr oder weniger radikal ändern.

Royal will das „soziale und politische Europa“ stärken und dies in EU-Zusatzprotokollen zum Ausdruck bringen. Außerdem wünscht sie eine Änderung der Statuten der europäischen Zentralbank. Neben dem bisherigen Ziel der Stabilität soll die EZB sich für „Wachstum und Beschäftigung“ engagieren. Nachdem sie noch vor einigen Monaten sagte, die Verfassung sei „hinfällig“, erklärt die PS-Kandidatin heute, dass sie den Text lediglich um das zweite und dritte Kapitel verkürzen will. Aus „Rücksicht“ auf jene EU-Länder, die die Verfassung bereits ratifiziert haben. Aus Rücksicht auf ihre eigenen Landsleute möchte Royal ein neues Referendum über den verkürzten Text organisieren.

Für Sarkozy wäre ein neues Referendum über die Verfassung „verantwortungslos“ und würde die bereits „unbewegliche“ EU zerstören. Der rechte Kandidat will eine Kurzfassung der abgelehnten Verfassung machen und sie durch das nationale Parlament pauken, noch vor der Sommerpause in diesem Jahr. Die in Kapitel zwei und drei festgelegten Dogmen der Marktwirtschaft will Sarkozy in getrennten EU-Verträgen fixieren.

Bayrou, der im Ausland als der „europäischste Kandidat“ gilt und dem in Frankreich der Ruf einer im engen Kreis geäußerten EU-Skepsis vorauseilt, will den FranzösInnen eine „neue, kürzere und verständlichere“ EU-Verfassung vorlegen. Über Details sagt er nichts. Deutschland fordert er auf, noch während der gegenwärtigen Ratspräsidentschaft eine Regierungskonferenz einzuberufen, die über diesen vereinfachten Text beraten soll. Den will er den Franzosen im Juni 2009 zum Referendum vorlegen. Bayrou fordert eine Harmonisierung der europäischen Steuerpolitik.

Die beiden rechten und rechtsextremen Antieuropäer in Frankreich haben Wasser in ihren Wein geschenkt. Jean-Marie Le Pen will heute sogar den Euro, auf den er lange eingeprügelt hat, beibehalten. Auch einen Austritt aus der EU erwägt der Rechtsextreme nicht mehr. Stattdessen postuliert er die Wiedereinrichtung der nationalen Grenzen und ein „Europa der Vaterländer“. Letzteres ist auch die Forderung des katholischen Rechtsaußen Philippe de Villiers.

Eine grundsätzlich andere EU wollen hingegen die linken KandidatInnen. Allen voran der Globalisierungskritiker José Bové. Er will die Texte auf „sozialer und demokratischer Basis“ neu schreiben. Er lehnt jede – verflachte, aber inhaltlich unveränderte – neue Version der Verfassung ab. Und wünscht sich – wie auch die Kommunistin Marie-George Buffet und der Trotzkist Olivier Besancenot – eine europäische verfassunggebende Versammlung, die einen neuen Text schreiben soll. Bové schlägt vor, die neue EU-Verfassung sämtlichen BürgerInnen der EU vorzulegen – in einem europaweiten Referendum.