Steiner und die Sinnlichkeit

Arno Pillwein hat einen eigenen Weg gefunden, um Kopf und Körper zusammenzuführen. Er verknüpft anthroposophische Theorie mit tantrischer Liebeskunst und bringt das auch anderen bei

Was unter der Gürtellinie geschieht, klammert die anthroposophische Sinnesschulung weitgehend aus, Tantra geht weiter

VON PETER HERMANNS

Von Rudolf Steiner ist der Satz überliefert: „Was aus Sinnlichkeit, aus Trieb, Begierde, Leidenschaft hervorgeht, das will nur das egoistische Individuum.“ Der Esoteriker befand, der Mensch müsse das „selbstische Wollen in sich abtöten“. Dieser Forderung mag sich Arno Pillwein so nicht anschließen: In seinem „Aeoni-Projekt vom Sinn der Sinnlichkeit“ führt er anthroposophische Theorie mit lustvollem Tantra zusammen.

Die Geschichte des Projekts ist eng mit der Biografie Pillweins verbunden. „Als Student der Elektronik empfand ich es als unerträglich, wenn mir das Licht einmal als Welle, einmal als Teilchen erklärt wurde“, erzählt Pillwein. Auf die Frage, was das Licht denn nun sei, wurde ihm lapidar bedeutet: „Das spielt keine Rolle. Hauptsache, man kann damit rechnen und arbeiten.“ In der Anthroposophie fand er eine Quelle, die ihm auch auf solche Fragen befriedigende Antworten geben konnte. Er entschied sich deshalb, Waldorflehrer zu werden. Doch schon bald genügte ihm der verkopfte Zugang zu existenziellen Lebensfragen nicht mehr: „In anthroposophischen Kreisen wird viel Wert auf eine differenzierte Sinnesschulung gelegt, nur bleibt man meist bei sehr zarten Dingen stehen.“ Er vermisste „die vitalen Seiten des Seins: All das, was unter der Gürtellinie liegt, wird weitgehend ausgeklammert.“ Dabei seien es gerade die Triebe, die den Menschen weitgehend prägten und bestimmten. Das führte Pillwein zum Tantra.

Wer erklären soll, was es damit auf sich hat, stößt auf eine verwirrende Anzahl an Auslegungen und Ausrichtungen. Gesichert ist, dass es sich um einen Sanskrit-Begriff handelt, der oft mit „erweitern“, manchmal auch mit „Kern“ oder „Essenz“ übersetzt wird. Die meisten Tantra-Schulen berufen sich auf den Sektenführer Osho und sind stark körper- und lustorientiert. Daneben gibt es tibetanisch oder buddhistisch ausgerichtete Schulen, die eine spirituell-meditative Form des Tantra lehren. Arno Pillwein sieht das pragmatisch. Für ihn bedeutet Tantra „praktische Geisteswissenschaft“, die Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Sexualität einschließt. Seine Erfahrungen nach einem Tantra-Jahrestraining schildert er so: „Ich merkte bis dahin nicht, wie sehr Gefühle üblicherweise nur ‚gedacht‘ werden. Mit den tantrischen Methoden wurden Triebe, Begierden und Leidenschaften zu einer begehbaren Landschaft und zu einer Quelle für Lebensmut und Entscheidungskraft.“

Trotzdem stellte sich für Pillwein die Frage, wie Tantra ohne Anthroposophie buchstäblich sinnvoll sein könne oder Anthroposophie ohne Tantra. „Wir müssen denkend etwas errungen haben, um es dann im Erfahren erkennen zu können, aber Wirklichkeit und Wirksamkeit finden immer nur im Jetzt statt“, resümierte er und begann 1995, Seminare zu geben, in die beide Elemente einfließen: Gespräche über die Ideen Rudolf Steiners werden durch angeleitetes Malen, Tanz und tantrische Rituale ergänzt. Pillwein sieht seine Veranstaltungen als „Erfahrungsräume“, in denen „geforscht“ wird und die Teilnehmer überprüfen können, wie weit das Angebotene in ihre konkrete Lebensrealität passt. Es gehe ihm weder um Anthroposophie noch um Tantra als „Weltanschauung“. Beides seien nur zwei Möglichkeiten, um zu einem „ganzheitlichen Menschsein“ zu gelangen.

Das klingt nach einem weiteren Heilsversprechen, das mit dem Modewort „ganzheitlich“ geschmückt wird. „Es wird ständig vom ‚wahren Erleben‘ geredet und nicht vom Werterleben“, kritisiert der Wissenschaftsautor Karl-Heinz Joepen. „Nur dem Werterleben aber entstammen die Gefühle der Religiosität, der Liebe, der Verantwortung und der Gerechtigkeit“, schreibt er in seinem Buch „Komplex Ganzheitlichkeit“ und weist darauf hin, dass das Versprechen einer „ganzheitlichen Wahrnehmung“ wegen der Versprachlichung des Erlebten gar nicht einlösbar sei. Das räumt auch Pillwein ein.

Texte auf der Internetseite seines Projektes lesen sich allerdings doch wie Heilsversprechen. „Wir erleben hier regelmäßig und unmittelbar den Vorgang der Erlösung und Befreiung“, heißt es da zum Beispiel. Im Gespräch zeigt Arno Pillwein sich undogmatisch: „Letztlich zählt nur, was wir selbst aus eigener Erfahrung erlebt und erkannt haben.“

Mitte Juli startet ein Jahrestraining. Um daran teilnehmen zu können, müssen Interessierte ein Einsteigerseminar besucht haben. Diese finden vom 27. bis 29. April und vom 1. bis 3. Juni 2007 statt. Weitere Informationen unter www.aeoni.de oder per Telefon unter (0 70 71) 2 53 63 09