: Osttimor: Wahlen im Zeichen der Gewalt
Am Montag wählt Osttimor einen neuen Präsidenten. Aussichtsreichster Kandidat ist Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta. Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit dominieren Hoffnungslosigkeit und Gewalt den kleinen Nachbarn Indonesiens
VON ANETT KELLER
Als am 20. Mai 2002 Osttimor seine Unabhängigkeit beging, fanden im ganzen Land Freudenkundgebungen statt. Bei den Präsidentschaftswahlen kurz zuvor waren beide Kandidaten Arm in Arm ins Wahllokal gegangen. Der lange Kampf gegen die Besatzungsmacht Indonesien, von der sich die kleine Inselhälfte 1999 per Referendum losgesagt hatte, hatte das Volk geeint.
Fünf Jahre später stehen die Osttimoresen wieder vor der Wahl. Doch vom Freudentaumel ist nichts geblieben. Das Land – eines der ärmsten der Welt – ist gespalten. Immer tiefer werden die Gräben zwischen Bewohnern der westlichen und der östlichen Region des Landes gezogen. In der heißen Phase des Wahlkampfes kam es immer häufiger zu Zusammenstößen von Anhängern der verschiedenen Kandidaten. Letzte Woche wurden 20 Personen verletzt, als bei einer Kundgebung Steine flogen.
Die Traumatisierung einer Gesellschaft durch jahrzehntelange Gewalt und die anhaltende Perspektivlosigkeit des Landes mit einer Arbeitslosenquote von 50 Prozent stärken jene, die an einer friedlichen Entwicklung kein Interesse haben. Nachdem im vergangenen Frühjahr ein Drittel der Streitkräfte entlassen wurde, machte ein Teil von ihnen unter Führung eines Exmajors das Land unsicher. Fast vierzig Menschen starben bei Unruhen, in deren Folge Ministerpräsident Mari Alkatiri zurück trat. Sein Amt übernahm Exaußenminister und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta – jetzt der aussichtsreichste Kandidat auf das Präsidentenamt. Er dürfte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem jetzigen Parlamentschef Francisco Guterres liefern.
Zwar räumt die Verfassung dem Staatsoberhaupt überwiegend repräsentative Aufgaben ein, dennoch ist seine Integrationsfunktion enorm wichtig. Diese hatte Präsident Xanana Gusmao, ehemaliger Unabhängigkeitskämpfer, zunächst zur Zufriedenheit vieler erfüllt. Doch Enttäuschung machte sich breit, als er es nicht vermochte, die Gewalt der letzten Monate zu stoppen. „Wir brauchen keinen perfekten Präsidenten“, schraubt der Leitartikler der osttimoresischen Zeitung Suara Timor Lorosae angesichts der ökonomischen Probleme des Landes die Erwartungen herunter. Mehr demokratischer Spielraum und genug zu Essen für alle wäre schon viel, so das Blatt.
Monika Schlicher, Osttimor-Expertin der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia!, ist skeptisch, ob die Wahlen sich positiv auswirken werden. Sie stellt der politischen Elite allgemein ein schlechtes Zeugnis aus. Diese habe „Differenzen zu politischen Machtzwecken verschärft, statt eine neue, auf den Zusammenhalt ausgerichtete Politik zu entwickeln, die für die Demokratisierung des Landes nötig gewesen wäre.“
Eine große Rolle bei der Verhinderung der Demokratisierung haben auch die Vereinten Nationen gespielt. Das „Kind der internationalen Staatengemeinschaft“ wird Osttimor gern von Diplomaten genannt. Ein Kind, dem man offenbar nicht so gern zuhört, wenn es seine Wünsche äußert. Zu viel Fremdbestimmung habe das Ansehen der Regierung im eigenen Land untergraben, so das Fazit von La’o Hamutuk, einem Institut, das den Wiederaufbau des Landes kritisch begleitet. Zugleich sei das Land durch den viel zu frühen Abzug der UN-Blauhelmsoldaten noch stärker destabilisiert worden. „In den Trial-and-Error-Experimenten der letzten Jahre haben internationale Experten bei uns viel über Staatsaufbau gelernt“, resümiert La’o Hamutuk bitter. „Hoffentlich kommt wenigstens anderen Ländern einmal zugute, worunter die Osttimoresen jetzt zu leiden haben.“