: Der weite Weg zur Wende
Die Energiepolitik ist eines der Großprojekte der neuen Regierung in Stuttgart. Für den Umweltminister wird es darum gehen, wie er die bisher vier AKWs ersetzt bekommt
■ 3. Mai: Heute, Mittwoch, wird das grün-rote Kabinett bekannt gegeben (16.30 Uhr). Es wird 15 Mitglieder haben, 8 Grüne, 7 von der SPD. Dafür hat die SPD 7 Ministerien, die Grünen haben 5.
■ 7. Mai: Die Landesparteitage von Grünen und SPD beraten den Koalitionsvertrag.
■ 12. Mai: Der Landtag stimmt darüber ab, ob Winfried Kretschmann erster grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg wird. Er braucht 70 Stimmen, Grüne und SPD haben zusammen 71.
AUS STUTTGART PETER UNFRIED
Die Sozis stehen im Aufzug des Stuttgarter Abgeordnetenhauses, der Grüne Franz Untersteller steht davor. Die Tür hat sich noch nicht geschlossen und der designierte Vizeministerpräsident Nils Schmid ruft noch schnell, dass er etwas in der Zeitung gelesen habe von Untersteller, was es – so der Tenor – eher nicht gebraucht habe. Untersteller hatte angedeutet, dass er die Arbeit der SPD gleich mitmachen müsse. Gelächter im und vor dem Aufzug. Tür zu, Sozis weg.
Grüne wie Rote sind derzeit prächtig gelaunt. Was wohl daran liegt, dass sie beide Baden-Württemberg regieren dürfen – aber es bis Mitte Mai noch nicht zusammen tun müssen. Die Grünen haben sich die beiden Ministerien Verkehr und Umwelt so geschnitten, dass sie glauben, damit etwas bewegen zu können. Einzeln und zusammen. Der Verkehrsminister soll Stuttgart 21 zu einem guten Ende bringen, der Umweltminister die vielbeschworene Energiewende einleiten. Deshalb hat man Schmid zwar neben dem Finanz- auch das Wirtschaftsministerium überlassen, aber die Energiewirtschaft zur Umwelt rübergeschoben. Den Koalitionsvertrag in diesem Bereich haben die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl und Untersteller ausgehandelt, der energiepolitische Sprecher der Landtagsfraktion. Eine oder einer von beiden wird Umweltminister werden.
„Wer, wenn nicht dieses Land, kann eine Zukunftswerkstatt sein?“ Das hat der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages gesagt. Er meinte: eine Werkstatt für Green Economy. Von den vier avisierten Großprojekten nannte er die soziale und ökologische Modernisierung als erstes – die anderen sind Bildung, Haushalt und Bürgerbeteiligung. Eine Revolution steht aber nicht an, es soll mit „Maß“ und „Mitte“ und „Besonnenheit“ regiert werden, wie Kretschmann nicht müde wird zu sagen, dabei aber „kraftvoll“, was offenbar sein Lieblingsadjektiv ist. Gehudelt wird selbstverständlich nicht.
Mehr Windenergie
Für den Umweltminister wird es darum gehen, ob und wie er den Atomstandort transformieren kann, also wie er die bisher vier Atomkraftwerke im Land ersetzt bekommt. Die nach der Atomkatastrophe von Fukushima von Kanzlerin Merkel und dem abgewählten CDU-Ministerpräsidenten Mappus abgeschalteten zwei Alt-AKWs sollen für immer vom Netz bleiben. Die beiden anderen, Neckarwestheim II und Philipsburg II, sollen vor 2020 abgeschaltet werden, aber das entscheidet nicht Stuttgart, sondern die schwarz-gelbe Bundesregierung. Die bisher vernachlässigte Windenergie soll von einem Bruchteil auf 10 Prozent kommen.
In Baden-Württemberg wehe nun mal kein Wind, pflegte Mappus grinsend zu sagen. Quatsch, sagen die Grünen seit langem.
Untersteller sitzt in der Landtagskantine und rechnet es vor: Wenn man das Landesplanungsgesetz zügig geändert kriegt und dann 100 Fünfmegawattanlagen pro Jahr bauen kann, wäre man zum Ende des Jahrzehnts bei den 10 Prozent. Die Zulieferfirmen im Land sollen Arbeit bekommen, die Bürger sollen beteiligt werden, auch am Gewinn, damit sie die Energiewende voranbringen und nicht vor Ort blockieren. Allerdings liegt der Atomstromanteil bei über 50 Prozent. Das heißt, sagt Untersteller: „Es braucht zusätzlich zu den Erneuerbaren auch Gaskraftwerke.“ Auch fossil und klimaschädlich, doch längst nicht so schädlich wie Kohle. Dafür muss das Land Investoren finden und Anreize schaffen, die gibt es bisher nicht. Nicht mal die EnBW hat eins, „weil es sich bislang für sie nicht gerechnet hat“. Generell vertraut man bei den pragmatisch orientierten Grünen auf die Kraft des Arguments, dass Klimaschutz das nächste große Geldverdien-Ding sein wird. „Wenn der Schwabe merkt, dass man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann, dann ist er schnell dabei“, sagt Untersteller. Wer nicht?
Er selbst ist kein Schwabe, auch kein Badener, er wuchs im Saarland auf. Ursprünglich kommen die Unterstellers aus Südtirol, von einem Berghof auf dem Sonnenberg oberhalb von Naturns. Manche halten Untersteller für einen Superrealo. Es gibt kein identitäres Weltereignis, das ihn zu den Grünen brachte wie bei anderen seines Jahrgangs 1957 etwa der Kampf gegen ein AKW im badischen Wyhl. Es sei „ein Stück weit Zufall“ gewesen sagt er, dass er nach Ingenieurstudium und einer Station beim Freiburger Öko-Institut 1983 parlamentarischer Berater der Stuttgarter Landtagsfraktion wurde. Er blieb es über zwei Jahrzehnte, ehe er 2006 ins Parlament wechselte. Er ist der einzige Grüne, der seinen Stuttgarter Wahlkreis nicht direkt gewonnen hat. Einerseits. Andererseits hat er im grünenfernen, arbeiterdominierten Norden der Stadt 28 Prozent geholt.
Untersteller lebt in der Harald-Schmidt-Stadt Nürtingen, zwischen Stuttgart und Tübingen. Die Frau ist Ärztin, die Kinder sind aus dem Haus. Er ist ein aktiver Tischtennisspieler. TTF Neckarhausen. Das waren dem Klischee nach früher die Langweiler, aber dieses Klischee lehnt er ab. Es sei ein fantastischer Sport, der Einzelleistung und Team verbinde, wie es der Fußball nicht könne.
Zu Hause im Saarland beriet er die Grünen bei den Koalitionsvereinbarungen der ersten CDU/FDP/Grünen-Regierung. Sie wollten ihn dann als Staatsekretär im Umweltministerium, aber selbst die CDU-Kollegin und derzeit noch amtierende Umweltministerin Tanja Gönner riet ihm ab. „Nicht alles, was Gönner gemacht hat, war schlecht“, sagt Untersteller in diesem Zusammenhang. Etwa ihr erneuerbares Wärmegesetz, dem er zugestimmt hat. Geht noch besser, klar, „das werden wir weiterentwickeln“.
EnBW am Hacken
Das große Ding aber ist die von Mappus zurückgekaufte EnBW. Damit haben die regierenden Grünen einen eigenen Energiekonzern beziehungsweise sie haben ihn am Hacken. Die Neuausrichtung des Atomunternehmens ist sicher eines der spannendsten Projekte der nächsten Jahre. Die entscheidende Frage sei, sagt Untersteller: „Wie machen wir das Unternehmen ökologisch zukunftsfähig?“ Wie kompensiert man die vier Atom-Gelddruckmaschinen, die hunderte Millionen pro Jahr abwerfen – und bezahlt trotzdem die Schulden, die Mappus für den Kauf gemacht hat? Und wie arrangiert man sich mit den CDU-Landräten von den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW), die genauso 47,3 Prozent der Aktien halten wie das Land? Unklar ist, wer sich um die EnBW kümmern wird. Kretschmann sagte auf Nachfrage, das sei „Chefsache“ und Genaueres werde sich im „Regierungshandeln“ ergeben. Offenbar weiß man es noch nicht. Unklar ist auch, wer für die Grünen noch neben der früheren Bundesfraktionsvorsitzenden Gunda Röstel in den Aufsichtsrat einzieht. Mit Rezzo Schlauch hätte man einen EnBW-Insider zur Hand. Der Bundesfraktionsvorsitzende der ersten vier Regierungsjahre war bis letzten Sommer im Beirat von EnBW, ehe er nach der damaligen Laufzeitverlängerung mangels erneuerbarer Perspektiven Reißaus nahm. Doch das hat sich ja nun gründlich geändert.
Energiewende heißt nicht nur Wechsel von fossilen zu erneuerbaren, es heißt auch Energieeffizienz. „Unser Job wird es sein zu zeigen, dass mit mehr Energieeffizienz sehr viel zu erreichen ist“, sagt Franz Untersteller. Das meint Einsparungen bei der Industrie, Einberufung von „Energieeffizienztischen“, Förderung von Cleantech-Mittelständlern. Damit sind wir beim leidigen Thema energetische Gebäudesanierung. Gilt als unsexy, bringt aber den größten Qualitätssprung. Baden-Württemberg hat 2,3 Millionen Gebäude, in fast allen wird zum Fenster beziehungsweise durch die Wände rausgeheizt. Die Sanierungsquote liegt derzeit bei 1 Prozent pro Jahr, die Grünen wollen das auf 2 Prozent steigern, „damit haben wir die Chance, bis 2050 den Bestand saniert zu bekommen“. Da gäbe es auch einiges zu verdienen. Bis 2050 müssen Industrieländer wie Deutschland ihren CO2-Ausstoß um 80 bis 90 Prozent gesenkt haben, um den globalen Temperaturanstieg in der Nähe der 2-Grad-Grenze zu halten. Letztlich hat man auch beim angeblichen Klimaweltmeister noch nicht wirklich angefangen.
Grüne zu behutsam?
Ob die Grünen genau deshalb gewählt wurden – um im Angesicht eines GAUs und einer bevorstehenden Klima- und Energie- und damit auch einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise die Energiewende doch noch voranzubringen?
Das ist Untersteller zu vermessen. Er nennt die Hauptgründe, auf die man sich geeinigt hat: 58 Jahre CDU-geführte Landesregierung, Stuttgart 21, Fukushima-GAU, Mappus-Malus.
Ist Kretschmann, sind die Grünen in Baden-Württemberg in all ihrer Behutsamkeit, die Leute nicht zu verschrecken, am Ende womöglich zu ängstlich? Echte Veränderung ist selten auf die sanfte Tour hinzubekommen. Ach was, sagt Untersteller. „Es ist unser Job, die Leute bei der Umsetzung unserer Ideen mitzunehmen.“ Man brauche natürlich auch Mehrheiten in der Regierungskoalition. Mit einem Partner oder Konkurrenten, der zwar auch die AKWs ausschalten will, aber ansonsten eine andere Vorstellung von Modernisierung hat? „Hie und da andere Vorstellungen“, nennt Untersteller die Differenz.
Diejenigen, die die Grünen längst für weichgespülte Verräter halten, sind für solche Argumente selbstredend nicht zugänglich. Auch Vertreter der Ökomoderne denken, man könne durchaus etwas forscher auftreten, aber 24 Prozent Wähler sind nun einmal keine Mehrheit, und von denen wird auch nur ein Bruchteil bisher das Wort Primärenergie definieren können. Bis zum Blockheizkraftwerk in jedem anständigen Mehrfamilienhaus im Land ist es noch ein weiter Weg.