: Noch ein Osloer Versprechen
Er habe das Deutsche „verlernt“, hat Gilles Rozier einmal geschrieben, spreche „die Sprache von Goethe und Goebbels“ aber dennoch gut. Das Deutsche nannte der 1963 geborene Franzose, längst Doktor der jiddischen Literatur, eine Sprache, „die einen wichtigen Platz in unserer Familie einnimmt“ – einer seiner Großväter lehrte Deutsch, der andere endete als polnischer Jude in Auschwitz.
Aus einer französischen Familiengeschichte während der deutschen Okkupation wiederum, einer Geschichte zwischen Kollaboration und Résistance, speiste sich Roziers erster auch auf Deutsch veröffentlichter Roman „Un amour sans résistance“ – „Eine Liebe ohne Widerstand“. Da gibt sich die Schwester des Erzählers regelmäßig einem deutschen SS-Mann hin. Während der Erzähler, der auch eine Erzählerin sein könnte, einen jungen Juden versteckt – vielleicht aus Hilfsbereitschaft, zunehmend aber getrieben vom eigenen, unerfüllten Begehren.
Wenn Rozier nun seinen jüngsten Roman im heutigen Israel ansiedelt und im Original auch noch „La promesse d’Oslo“ nennt, „Das Versprechen von Oslo“, dann lässt das denken an die auf Betreiben der norwegischen Regierung ebendort geführten, schlussendlich erfolglosen Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der PLO. Es geht da aber auch noch um eine anderes Versprechen, das zu tun hat mit Norwegens Kapitale: Durch ein Selbstmordattentat hat die orthodoxe Köchin Sharon ihren einzigen Sohn verloren. Gegen den Willen des streng religiösen Vaters war der, anstatt auf die Torah-Schule, zum Militär gegangen. Ihre Ehe zerbrach, weil Sharon kein weiteres Kind mehr empfing; weil ihr Körper, wie sie sagt, sich gegen die erhofften sieben weiteren Kinder „entschieden“ hatte.
Nun fordert aber das Gesetz: „Seid fruchtbar und mehret euch“, sagt ihr der Rabbiner, und dass eine Zeugung auch ohne Ehemann vertretbar sei – unter gewissen Umständen: Sei der Vater kein Jude, „spricht nichts gegen die künstliche Befruchtung durch einen anonymen Spender“. Rozier lässt seine Heldin also nach Oslo aufbrechen – auch dort aber verweigert ihr Körper sich dem Wunsch nach Empfängnis. Ob und wie Sharon doch noch „Abrahams Sohn“ zur Welt bringt – einen Jungen also ohne jüdischen Vater –, und welche Rolle dabei ihr schwuler, gleichsam streng religiös erzogener Arbeitskollege Amos spielt – das hat Rozier zu einem furiosen Text voll wunderbarer Einfälle werden lassen, in dem er sich um die drängenden politischen Fragen nicht herumschummelt, sondern sie aus immer wieder wechselnden Perspektiven stets mitdenkt. In welcher Sprache aber wird Gilles Rozier „Abrahams Sohn“ nun auch im Norden vorstellen? ALDI
Gilles Rozier, „Abrahams Sohn“. Dumont 2007, 157 S., 19,90 Euro. Lesungen: heute, 20 Uhr, Kiel, Buchhandlung Stöberecke; 12. 4., 20 Uhr, Flensburg, Buchhandlung Rüffer und Westphalen; 13. 4., 20 Uhr, Buchholz i. d. Nordheide, Buchhandlung Slawski