: Prügel an der roten Ampel
Ein altes Ehepaar verletzt eine Taxifahrerin schwer. Diese wollte sich nur über das Fahrverhalten der Alten beschweren. Jetzt muss sie eine Zahnprothese tragen.Das Amtsgericht verhängt eine Geldstrafe und ein befristetes Fahrverbot
Äußerlich scheinen die Eheleute Walter und Ingrid Sch. kultivierte Menschen zu sein. Sie trägt eine teure beige Lederjacke und ist gekonnt geschminkt, er kommt mit modischer Brille und gepflegtem Wildlederblouson zum Gericht. In ihrem Sozialverhalten haben die beiden allerdings weniger Stil bewiesen. Als eine Taxifahrerin sie auf ein Fehlverhalten im Straßenverkehr ansprach, räumten Walter und Ingrid Sch. ihren Fehler nicht etwa ein – sondern sie schlugen zu. Gestern verurteilte das Amtsgericht beide zu einer Geldstrafe. Zudem ist Walter Sch., der die 57-jährige Frau schwer verletzte, für drei Monate seinen Führerschein los.
Den Tätlichkeiten vorausgegangen war eine Situation, wie sie im Straßenverkehr alltäglich ist: Das Rentnerehepaar stand auf einer Vorfahrtsstraße im Stau. Die Taxifahrerin versuchte, ihren Wagen auf die Fahrbahn einzufädeln. Nachdem sie zunächst glaubte, Walter Sch. mache ihr Platz, gab der unvermittelt Gas. Die Frau war wütend.
Kurz darauf kamen beide Fahrzeuge nebeneinander an einer Ampel zu stehen. Sie stieg aus, trat auf der Beifahrerseite an den Honda der Eheleute Sch. heran und klopfte an die Tür. Ingrid Sch. blickte stur geradeaus. Daraufhin öffnete die Taxifahrerin die Tür, um die beiden zur Rede zu stellen. Ingrid Sch. schlug ihr mit der flachen Hand mitten ins Gesicht. Dann beugte sich ihr Mann über den Beifahrersitz und ergriff den Schal der Taxifahrerin. Er riss so kräftig daran, dass die 57-Jährige mit dem Kopf auf das Autodach knallte. In ihrem Oberkiefer wurden alle Zähne so gelockert, dass sie gezogen werden mussten. Nun trägt sie eine Prothese.
Vor Gericht sehen Walter und Ingrid Sch. überhaupt nicht ein, dass sie sich falsch verhalten haben könnten. Zunächst einmal: „Wir hatten Recht“, stellt der 69-Jährige klar und setzt sich noch etwas breitbeiniger auf die Anklagebank. Schließlich habe er Vorfahrt gehabt. Und dann müsse man die Frage stellen, „wer hier eigentlich über wen hergefallen ist“, ergänzt sein Rechtsanwalt später in seinem Plädoyer. „Unbescholtene Bürger“, sagt er, „unbescholtene Bürger sitzen in ihrem Kleinwagen, als plötzlich die Tür aufgerissen wird“. Die Eheleute hätten an einen Überfall geglaubt und das Recht gehabt, sich gegen den vermeintlichen Angriff zur Wehr zu setzen. „Die Taxifahrerin ist über die Eheleute hergefallen“, sagt deren Anwalt, „und nicht umgekehrt“.
Der Richter ist schon seit mehr als 20 Jahren an einer Verkehrskammer des Amtsgerichts. Er habe gelernt, dass man „nur dringend davon abraten kann, Situationen im Straßenverkehr klären zu wollen“, sagt er. Das gehe meistens schief. Der Behauptung von Walter und Ingrid Sch., sie hätten an einen Überfall geglaubt, hält er entgegen: „Das glauben Sie doch wohl selber nicht: Es war mittags, hellichter Tag. Wir sind hier nicht in Chicago.“ Dass Walter Sch. die Taxifahrerin an ihrem Schal zerrte, sei keine Abwehrbewegung gewesen, sondern eine „disziplinarische Maßnahme, um der Dame mal zu zeigen, wo es langgeht“.
Er bedauere es, sagt der Richter, die Akten erst ein Jahr danach auf den Tisch bekommen zu haben. Nun sei es rechtlich nicht mehr möglich, die hier eigentlich angemessene Sanktion zu verhängen: ein Jahr Fahrverbot. ELKE SPANNER