: Es war einmal in Amerika
JIDDISH SWING Der Sampler „Kosher Nostra“ spürt der jüdischen Mafia in den USA der Prohibitionszeit nach
VON NINA APIN
Angeblich soll es Louis „Lepke“ Buchalter gewesen sein, der für Auftragsmorde den Begriff „Hit“ eingeführt hat. Der junge Mann gehörte einer Bande von jüdischen Gangstern an, die sich im New York der 1920er- bis 50er-Jahre das Geschäft mit Glücksspiel, Prostitution, Alkohol-, Waffen- und Drogenhandel in enger Absprache mit den italienischen Unterweltkollegen aufteilte. Buchalter und seine Companions Meyer Lansky und Ben „Bugsy“ Siegel unterwanderten das Showgeschäft, kontrollierten den Broadway und investierten kräftig in die Amüsierstadt Las Vegas; tausende von Auftragsmorden sollen sie verübt haben. Trotzdem wurde die „Kosher Nostra“ nie so berühmt wie die italienische Mafia.
Der Frankfurter DJ Shantel hat diesen Gangstern, deren Eltern als bettelarme Juden aus Russland und den Schtetln Osteuropas eingewandert waren, ein musikalisches Denkmal gesetzt. „Kosher Nostra“ heißt die Compilation mit Titeln aus den 1920er- bis 1960er Jahren, die in Zusammenarbeit mit dem israelischen Künstler Oz Almog entstand. Almog hatte für das Jüdische Museum in Wien 2003 die Ausstellung „Jewish Gangsters in America 1890–1980“ initiiert und dafür die Biografien von Männern wie Buchalter, Meyer Lansky und Ben „Bugsy“ Siegel ausgewertet. „Kosher Nostra“ vereint nun Oz Almogs gemalte Gangsterporträts mit historischen Fakten und Anekdoten und einem liebevoll gestalteten 60-Seiten-Booklet. Die CD selbst bietet musikalische Entdeckungen von alten jüdischen Balladen bis zu jiddischem Swing, Jazz und sephardisch-griechischem Rembetiko.
Die herzzerreißende Ballade „My Yiddishe Mamme“ über die Aufopferung der jüdischen Mutter ist gleich zweimal vertreten. „Ein Lied, das auch dem härtesten Gangster die Tränen in die Augen trieb“, schreibt Shantel über die Originalversion von Sophie Tucker von 1928. Für die noch in Russland geborene Sonya Kalish war das Tränenstück der Beginn ihrer US-amerikanischen Karriere. Der Song – als Split-Single mit englischer A-Seite und jiddischer B-Seite aufgenommen – wurde ein Top-5-Hit, dessen Ruhm bis nach Wales drang, wo ihn der Soulsänger Tom Jones von seinem Vater lernte und bei seinen späteren Liveauftritten sang.
Der „jiddische“ Tom Jones ist nur eine der vielen Überraschungen auf dieser Compilation. Eine echte Kostbarkeit ist auch „Misirlou“, als Titelmelodie des Films „Pulp Fiction“ bekannt: In der Vokalversion des Twistmusikers Chubby Checker sind die türkisch-griechisch-jüdischen Wurzeln des alten Folksongs deutlich zu hören. Abseits von bekannten jüdischen Gassenhauern wie „Bei mir bistu sheyn“ von den Andrew Sisters und „Hava Nagila“ in einer tollen Twistversion finden sich auf „Kosher Nostra“ jede Menge solcher Fundstücke und Obskuritäten. Zum Beispiel drei Songs aus dem Album „Connie Francis sings Yewish Favourites“ von 1960, das die italoamerikanische Schlagersängerin in perfekt angelerntem Jiddisch eigens für ihre jüdische Fangemeinde aufnahm. Einer ihrer größten Fans soll der Mafiaboss Meyer Lansky gewesen sein.
In den USA erlebte Jiddisch, dieses mittelalterliche, mit hebräischen Worten vermischte Mittelhochdeutsch, eine Renaissance: Die Juden, die aus Russland und den Schtetln Osteuropas nach Amerika flohen, sprachen schlicht nichts anderes. Und während der Prohibitionszeit lebten allein in New York 1,7 Millionen Juden: Jiddisch war derart verbreitet, dass es neben Musicals und Filmen auch Radioprogramme wie die „Yewish Hour Radio Show“ gab, aus der ein Ausschnitt mit dem Yiddish Swing Orchestra zu hören ist.
Während die schwülstigen Connie-Francis-Balladen vor allem durch ihren Seltenheitswert bestechen, vermitteln die Rhythmen auf „Kosher Nostra“ eine Ahnung davon, wie heiß es in den Nachtclubs und bei den Privatfeiern der jüdischen Gangster zugegangen sein muss. Wie schnell sich jüdische Traditionsmelodien mit schwarzen Rhythmen und Musikstilen vermischten, dokumentiert der Yiddishe Charleston oder das burleske Stück „When Hollywood Goes Black and Tan“ der Boogie-Woogie-Pianistin Cleo Patra Brown, die zusammen mit dem aus Trinidad stammenden Calypso-Sänger Wilmoth Houdini auftrat.
Burlesk, glamourös und tieftraurig: Shantel, der sich durch seine „Bukovina“-Partys um die Balkanmusik verdient gemacht hat, begibt sich mit diesem facettenreichen Sampler in musikalisches Neuland. Der Frankfurter DJ und Musiker scheint von dieser Ära der jüdischen US-Mafia fasziniert zu sein, und seine Begeisterung hört man dieser Raritätenwundertüte auch an. Jenseits von tumber Gangsterverherrlichung wirft „Kosher Nostra“ ein Schlaglicht auf ein weitgehend unbekanntes Kapitel jüdisch-amerikanischer Geschichte. Tanzen kann man dazu übrigens auch.
■ Shantel: Kosher Nostra. Jewish Gangsters Greatest Hits (Essay)
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