: Der afrikanische Traum
MIGRATION HipHop-Tracks und Electro-Tunes bilden die Begleitmusik zum afrikanischen Exodus übers Mittelmeer. Ein Sampler fasst sie zusammen
VON DANIEL BAX
Zigtausende junge Afrikaner verlassen jedes Jahr ihre Heimat, um auf einem anderen Kontinent ihr Glück zu suchen. Für manche endet schon allein der Versuch, auf illegalen Wegen über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, tödlich. Keine Frage, dass eine der größten Wanderungsbewegungen unserer Zeit auch in der Musik ihren Widerhall finden musste.
Der Sampler „Yes we can“ versammelt 15 Stücke, die in der einen oder anderen Weise die afrikanische Massenemigration zum Thema haben. Der Titel greift den bekannten Obama-Slogan auf und münzt ihn sarkastisch auf die Situation in Afrika um. Denn der Wandel zum Besseren, den der US-Präsident einst seinen Landsleuten versprach, ist für viele Afrikaner nur durch Auswanderung zu haben, der Traum von Wohlstand und gesellschaftlichem Aufstieg erscheint ihnen nur in der Fremde realisierbar. „Barka mba Mbarzak“ – sinngemäß: „nach Barcelona gehen oder ein Leben in der Hölle führen“ –, so lautet das bittere Motto, das in den Straßen von Dakar zum geflügelten Wort geworden ist.
Während das schöne Leben in Europa durch Filme, Fernsehen und das Internet nur einen Knopfdruck entfernt scheint, ist es für die meisten Menschen in Afrika fast unmöglich, ein Visum zur Reise zu bekommen. Und selbst wenn sie es irgendwie schaffen, auf verschlungenen Wegen ans Ziel ihrer Träume zu gelangen, wartet dort alles andere als das Paradies auf sie. Davon künden die afrikanischen Straßenhändler, die fast überall in Europa auf den Straßen und Plätzen, auf Märkten und an den Stränden gefälschte Uhren, Fake-Designerware und anderen billigen Modetand feilbieten. Sie leben von der Hand in den Mund, werden von der Polizei drangsaliert oder gejagt, während man sich in der Heimat oft völlig falsche Vorstellungen von ihrem Leben in Europa macht.
Von all diesen Dingen handeln die Songs auf diesem Sampler – vom schweren Los auf der Straße, den alltäglichen Schwierigkeiten und dem Abdriften in die Kleinkriminalität („Lidl“ vom Grime-MC Afrika Boy aus London), von Ausgrenzung und Diskriminierung („Green Passport“ vom nigerianischen Rapper Modenine), vom Heiratstourismus („Green Card“ von Wanlov the Kubolor aus Ghana) oder von Materialismus und moralischer Orientierungslosigkeit („Money Talk“ vom nigerianischen Rapper Rapturous). Während der französische Slam-Rapper Rouda in „Paris Canaille“ den Rassismus in Europa geißelt, der von bestimmten Politikern geschürt wird, weisen CAPSI Revolution aus dem Senegal in „Immigration Clandestine“ auf die fatalen Auswirkungen hin, die der Brain-Drain auf die Herkunftsländer hat, die dadurch ausgerechnet ihre aktivsten und mobilsten Teile ihrer Gesellschaften verlieren und damit ihre Zukunft aufs Spiel setzen.
Musikalisch werden auf „Yes we can“ alle möglichen Spielarten des HipHop gestreift, von brummenden Elektro-Tunes, dublastigem Reggae-Hop, hektischen Breakbeats, französischem Chanson-Rap, nöligem Sprechgesang bis hin zu klassischen Conscious-Tracks. Dazwischen finde sich Ausflüge in den aktuellen Londoner Club-Underground sowie zu den hüpfenden Party-Beats westafrikanischer Modetänze wie „Coupé decalè“ von der Elfenbeinküste, Funana von den Kapverden oder Sokous-Pop aus dem Kongo.
Senegals HipHop-Superstars Daara J etwa haben für die Compilation eigens einen neuen, wuchtig wummernden und kühl schimmernden Track verfasst. Der Titel „Unite 75“ bezieht sich auf den Preis, den ein Telefongespräch nach Europa in Westafrika kostet – im Senegal sind das 75 Centimes pro Einheit. Er handelt von den Schwierigkeiten vieler Migranten, in Europa über die Runden zu kommen und regelmäßig Geld nach Hause an die Familie zu schicken.
Auch der Track „15 Minutes away“ handelt von Geldüberweisungen: der Titel zitiert einen Werbeslogan der Geldtransfer-Firma „Western Union“ – 15 Minuten dauert es, eine Summe an eine „Western Union“-Filiale in Afrika zu übermitteln. Von diesen regelmäßigen Transfers hängen mancherorts ganze Dörfer ab.
Der somalische Rapper K’Naan zählt heute zu den Großen im HipHop, zur WM 2010 in Südafrika steuerte er die offizielle Fifa-Hymne bei. Auf „15 Minutes away“ gibt er die widerstreitendem Gefühle wieder, die mit diesen Geldtransfers verbunden sind – die Bürde der Verantwortung, der Druck überzogener Erwartungen, die Freude, anderen etwas Gutes tun zu können, und die Scham, sich dafür das Essen vom Mund absparen zu müssen. Sein Lob der Großzügigkeit hat K’Naan in eine sommerlich-leichte Melodie und einen unwiderstehlichen Groove verpackt.
Ein weiteres Highlight ist der Track von Afrikan Boy, der die bekannte deutsche Supermarktkette „Lidl“ im Titel trägt. Zu einem ziemlich roh scheppernden Beat lässt sich der Shooting Star der Londoner Grime-Szene in provokanten Zeilen über das Leben illegaler Migranten aus, die sich mit kleinen Ladendiebstählen über Wasser halten und Probleme mit der Einwanderungsbehörde bekommen, weil sie sich bei der Einreise fälschlich als Minderjährige ausgegeben haben. Geschichten, die das Leben so schreibt.
Ein reich bebildertes, gut gestaltetes und informatives Booklet sorgt für einen Überblick, stellt die einzelnen Künstler und ihre Titel vor. So vermittelt der Sampler „Yes we can“ ein besseres Bild dieser brisanten Problematik, als es viele Zahlen und Statistiken, Konferenzen oder Zeitungsartikel vermögen.
■ Yes we can! Songs about leaving Africa (Outhere Records)