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60 JAHRE AGB Mit dem Bau der Amerika-Gedenkbibliothek 1954 wurde nicht nur ein Symbol des Widerstands gegen die Blockade Berlins, sondern auch die modernste Bibliothek Deutschlands errichtet. Heute herrscht in der AGB Platzmangel – aber der Standort hat Zukunft

60 Jahre feiern

■ An diesem Samstag feiert die Amerika-Gedenkbibliothek ab 16 Uhr ihren 60. Geburtstag und das Ende der 1,3 Millionen Euro teuren Renovierungsarbeiten.

■ Die Architektur-Ikone der Moderne wurde um Bereiche erweitert, der Themenraum etwa ist ein neues Bibliotheksformat, wo zu aktuellen Themen – aus Gesellschaft, Kultur, Politik – Medien zusammengestellt werden.

■ Zum Jubiläum werden Kurzführungen durch das Gebäude angeboten. (taz)

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Als kürzlich die Oberen der Berliner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) die Berliner nach der Bedeutung öffentlicher Bibliotheken in der Stadt befragten, war das Ergebnis durchaus überraschend: Mehr als 90 Prozent halten die Existenz der großen Bücherkisten für wichtig. Das Angebot der Institutionen schätzen die Leser und Leserinnen aller Altersgruppen. Und nützlich sind die Häuser für alle Interessierten an Literatur und Zeitungen, für Cineasten und Musikfans sowieso. Ausgeliehen wird wie verrückt. Wer glaubt, im Zeitalter von Internet, Digitalisierung und einem veränderten Mediennutzungsverhalten wären die zwölf öffentlichen Bibliotheken in den Bezirken und in den beiden Standorten der ZLB „out“, liegt daneben.

Beim Lieblingskind unter den Berliner Bibliotheken, der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) am Blücherplatz, ist in diesen Spätsommertagen die Zuwendung der Leser besonders intensiv. Draußen im kleinen Park liegen die Raucher auf dem Rasen und blättern in den Büchern. Arbeitsgruppen haben Kreise gebildet, man diskutiert. Es herrscht Campus-Atmosphäre. Drinnen brummt es: Menschen blockieren in langen Schlangen die Rückgabe-Counter, an den Bildschirmen recherchieren die Leser ihre Bücherwünsche. Im lichten Lesesaal der AGB stecken ein paar Mädchen die Köpfe zusammen und büffeln „für den Geo-Test“. Kids poltern in die Kinderabteilung im Souterrain. Andere Nutzer streichen zwischen den Regalen der Freihandabteilung mit 130.000 Medien herum oder sitzen im neuen „Salon“ und lesen Fachzeitschriften.

Es wird getuschelt, gelesen, geblättert, gesucht und bestellt. Wer liest, arbeitet nicht, sagt ein Sprichwort. Das Hin und Her in der AGB stellt die Behauptung vom Kopf auf die Füße: Bildung ist Arbeit. 3.500 NutzerInnen besuchen tagtäglich die öffentliche Bibliothek, bei Lesungen oder Konzerten sind es noch mehr. Und seit das Haus gerade für 1,36 Millionen Euro renoviert wurde, hat ein neuer Run eingesetzt.

Seit 60 Jahren geht das so. Die AGB, an der Kreuzung zweier U-Bahn-Linien und der zentrale kulturelle Magnet zwischen Kreuzberg und Mitte, Tempelhof und Neukölln, ist für viele der bibliophile Energielieferant, um sich mit Lesestoff, CDs oder Filmen einzudecken.

Als am 20. September 1954 die Amerika-Gedenkbibliothek als modernste Bibliothek Deutschlands eröffnet wurde, stürmten die Berliner das neue Haus. Ein gewisser Herr Lohmann ergatterte sich den Leseausweis 00001. Weitere 80.000 Leser folgten. Chaos brach in der AGB aus angesichts der vielen öffentlichen, universellen und kostenlosen Angebote und Nutzungsmöglichkeiten. Kannten die Berliner doch mit den Universitäts- oder Stadtbibliotheken bislang nur einen ganz anderen Bibliothekstypus als den der ersten deutschen „Public Library“.

Das „emanzipatorische Konzept“, wie ZLB-Chef Volker Heller die ursprüngliche AGB-Idee bezeichnet, war ein US-Import. Die Verbindung – statt Trennung – der wissenschaftlichen und schöngeistigen Bereiche sowie die öffentliche Nutzbarkeit für alle Menschen hatte Fritz Moser, Direktor der Amerika-Gedenkbibliothek, auf einer USA-Reise 1951 kennengelernt. Ernst Reuter, damals Regierender Bürgermeister, verteidigte das Programm der Public Library vor Ort gegen konservative pädagogische Bedenken, auch weil die AGB als bauliches und politisches Symbol Westberlins instrumentalisierbar war.

In Erinnerung an den Widerstand der Berliner in den drei Westsektoren gegen die sowjetische Blockade 1948/49 und mit US-Mitteln aus dem „Fonds zur Förderung gemeinsamer Ziele der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland“ ließ Reuter den Bibliotheksbau 1952 bis 1954 nach einem schnittigen Entwurf von Fritz Bornemann, Willy Kreuer und Hartmut Wille realisieren. Die geschichtspolitische Dimension des Bauvorhabens formulierte US-Außenminister Dean Acheson 1952 bei der Grundsteinlegung klar und deutlich. Sollte doch die AGB die Rolle „des Merkmals einer gemeinsamen Sache, einer freien Gesellschaftsordnung“ spielen. Das Gebäude spiegelt – wie auch die Kongresshalle oder das Hansa-Viertel – bis heute die Chiffren einer modernen, westlichen und damit „freien“ Architektursprache in seinen klaren und einfachen Baukörpern. Den Kern des Ensembles bildet der breite, weite Betonflügel, an den sich zwei gläserne Pavillons andocken: ein kleiner als Eingangsbau, ein großer als rückseitiger Lesesaal. Der kurvige Bau ruht auf Säulen, die 1.480 Quadratmeter große Lesehalle ist frei von trennenden Wänden und gewährt einen Durchblick. So entsteht ein heller, luftiger Eindruck.

Alle Funktionen wurden getrennt: Im großen geschwungenen Flügel sind die Büros für die Angestellten untergebracht. Die Leseräume im Souterrain gruppieren sich um Lichthöfe. Die Magazine befinden sich ebenfalls im Untergeschoss. Ein Novum war damals nicht nur die große Freihandabteilung im Lesesaal, sondern die Möglichkeit der direkten Ausleihe und das Veranstaltungsprogramm. Autoren wie Gottfried Benn, Thornton Wilder, Luise Rinser und Uwe Johnson stellen ihre Werke vor.

Nicht erst seit heute ist die AGB zu klein, schon in den 1970er Jahren fehlte es an Raum für die über 500.000 Medien und die 300 Mitarbeiter. Auch die Zusammenfassung 1995 der beiden Stadtbibliotheken, die Berliner Stadtbibliothek im Osten und die AGB im Westen zur Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB), hat die Lage eher verschärft als erleichtert. Millionen Nutzer jährlich überfordern die Standorte.

Nach dem Aus im Sommer für eine neu geplante ZLB auf dem Tempelhofer Feld rücken jetzt wieder die AGB-Erweiterungspläne aus den 1980er und 1990er Jahren ins Bewusstsein. Damals hatte der Senat Pläne auf dem Tisch, die eine Vervielfachung der insgesamt 7.500 Quadratmeter großen Fläche vorsahen. Der US-Amerikaner Steven Holl entwarf einen auf Stelzen stehenden Riesencontainer, der über der AGB schwebte. Daraus wurde nichts. Jetzt könnten diese Träume am Blücherplatz wieder geträumt werden.